
Streit übers EU-Klimaziel Die Industrie und der Green Deal
Der Streit übers EU-Klimaziel ist in vollem Gang. Die Industrie unterstützt dabei Pläne zur massiven Reduktion des CO2-Ausstoßes, fordert aber gleichzeitig Investitionen in günstige erneuerbare Energie.
Ursula von der Leyens Ziel ist klar: Die EU soll bis 2050 klimaneutral werden, und damit das gelingt, sollen die CO2-Emissionen bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre drastisch sinken.
55% weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 will die EU -Kommission als Klimagesetz festschreiben, 60 Prozent weniger Treibhausgas verlangt das europäische Parlament.
Dänemark und Schweden ist das noch zu zaghaft: Sie plädieren für 65 Prozent weniger Treibhausgas - was wiederum im flämischen Teil Belgiens, aber vor allem in Osteuropa nur Kopfschütteln auslöst. Der Klimastreit ist in vollem Gang.
Ob Einigung gelingt, ist offen
Nächste Woche wollen sich die Staats-und Regierungschefs bei ihrem vermutlich letzten Dezember-Gipfel in Brüssel auf eine Prozentzahl einigen, die Angela Merkel Ende nächster Woche am fünften Jahrestag des Pariser Klimaabkommens den Vereinten Nationen als EU-Klimaziel präsentieren soll.
Die Kanzlerin hat bereits klargestellt, dass sie 55 Prozent CO2-Einsparung für das Höchste hält, was der Industrie in Deutschland zuzumuten ist. Ob eine EU-Einigung auf ein Klimaziel gelingt, ist völlig offen.
Von der Leyens ehrgeizige Ziele
Für Kommissionspräsidentin von der Leyen steht eines fest: Das bisherige Ziel von 40 Prozent CO2-Reduktion reicht bei weitem nicht aus, um dem Pariser Klimaabkommen gerecht zu werden und den Temperaturanstieg auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. 55 Prozent in den nächsten zehn Jahren, klimaneutral bis 2050 - mit diesem von der Leyen-Ziel sind führende deutsche Industriemanager durchaus einverstanden.
"Die positive Nachricht ist: Wir können es machen. Wir können es schaffen," betont Dr. Christian Hartel. Der promovierte Chemiker sitzt im Vorstand eines Chemieunternehmens mit 14.000 Mitarbeitern weltweit - zehntausend davon in Deutschland. Das Unternehmen produziert Rohstoffe für Solarzellen und Computerchips. Es ist der einzige Solar-Technologie-Zulieferer in Deutschland, der nicht von China überrundet und vom Markt gedrängt wurde.
Chemie-Industrie kann profitieren
"Wir sind technologisch weit voran - auch gegenüber den chinesischen Wettbewerbern," sagt der Top-Manager der Wacker-Chemie, der das EU-Kommissions- Ziel der Klimaneutralität bis 2050 voll unterstützt. Auch eine CO2-Reduktion von 55 Prozent bis 2030 ist durchaus in Hartels Sinn.
Die chemische Industrie ist nämlich die einzige Industrie weltweit, die das stabile Molekül CO2 als Rohstoff einsetzen kann - zum Beispiel aus der Atmosphäre geholtes und gespeichertes CO2.
"Aus unserer Sicht ist daher die erfolgversprechende Umsetzung eines Green Deal in erster Linie eine wirtschaftliche Herausforderung", betont Chemiemanager Hartel an die Adresse der EU-Kommission.
Wenn die chemische Industrie in Deutschland klimaneutral werden soll, was sie kann und will, brauchen wir die elffache Menge an Strom. Natürlich erneuerbar. Sonst geht die Rechnung nämlich nicht auf.
Industrie fordert Ausbau und Förderung erneuerbarer Energie
Viel fossile Energie und damit CO2 kann eingespart, viele Industrieprozesse können elektrifiziert werden - wenn genügend erneuerbarer Strom zu günstigen Preisen zur Verfügung steht. Bereits jetzt sind Photovoltaik und Wind die günstigsten Energiespender.
Und genau an diesem Punkt sieht die EU-Industrie die EU-Kommission mit in der Verantwortung. Der Ausbau regenerativer Energie müsse aus Brüssel gefördert und subventioniert werden. Ohne riesige zusätzliche Mengen kostengünstiger erneuerbarer Energie in der EU ist zum Beispiel keine Produktion von sogenanntem grünem Stahl mit Hilfe von Wasserstoff möglich.
China macht es vor
Ausgerechnet das auf Braunkohle fixierte China macht der EU vor, wie es geht: Das Potential an erneuerbaren Energien liegt dort bereits bei 900 Terrawattstunden. "Das ist die anderthalbfache Menge des deutschen Stromverbrauchs", betont Wacker-Manager Hartel während einer Veranstaltung der Vereinigung Bayrische Wirtschaft an die Adresse der EU-Kommission.
Regenerative Energien zu niedrigen Preisen müsse deren oberstes Ziel sein, um den Green Deal zu realisieren. Statt eine EU-Strafsteuer zu planen auf CO2-intensive Importe aus Ländern wie Indien und China und damit Handelskonflikte zu provozieren, solle die EU lieber die eigenen klimafreundlich produzierenden Unternehmen unterstützen, lautet die Forderung an von der Leyen.
Schließlich hatte die Kommissionspräsidentin ihren Green Deal vor einem Jahr als Wirtschaftswachstums-Plan angekündigt. Emissionen runter, Zahl der Arbeitsplätze rauf, lautet das von der Leyen-Motto. Doch ohne große Zusatzmengen an kostengünstigen erneuerbaren Energien wird der Plan nicht aufgehen.