
Hochradioaktiver Atommüll Die mühsame Suche nach einem Endlager
In Finnland startet bald das erste Atommüll-Endlager, in Deutschland bleibt das radioaktive Erbe vorerst in Zwischenlagern. Warum wird hier noch diskutiert und anderswo schon gebaut?
April 2025. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen rollt hochradioaktive Fracht an. Es ist der erste und einzige Castor-Transport nach Bayern. Atommüll aus der Wiederaufarbeitung im Ausland, zurück zum Verursacher, das schreibt das Atomgesetz vor. Das Ziel: der Landkreis Landshut, Niederbayern, das Zwischenlager Isar. Unklar ist, wie lange der hochradioaktive Atommüll dort gelagert wird. In Bayern und in den anderen 15 Zwischenlagern bundesweit werden insgesamt 1.750 Castoren gelagert. Denn die Suche nach einem Endlager schreitet nur sehr schleppend voran.
Ganz anders ist die Situation 2.000 Kilometer nördlich, auf der kleinen Halbinsel Olkiluoto in Finnland. Rund 450 Meter unter der Erde wird derzeit etwas weltweit Einzigartiges fertiggestellt: das erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll: Onkalo, auf deutsch "kleine Höhle".
Noch lagern die gebrauchten Brennstäbe in unterirdischen Zwischenlagern, in Onkalo werden die Stäbe entnommen, getrocknet und in einen neuen Stahlbehälter gesteckt, der wiederum in eine Kupferkapsel geschoben wird - Deckel drauf, verschweißt, alles vollautomatisiert. "Das ist der magische Ort", sagt Pasi Tuohimaa im sogenannten Einkapselungsraum und wirkt dabei fast ein wenig ergriffen. "Diesen Raum gibt es weltweit nur ein einziges Mal." Er ist Pressesprecher des Endlagerbauers Posiva. Das Unternehmen ist ein Joint-venture, zu dem auch der finnische Kernkraftbetreiber gehört.
Netz an Tunneln und Schächten
Pasi Tuohimaa hatte schon Wissenschaftler und Reporter aus aller Welt zu Gast in dem weit verzweigten Netz an Tunneln und Schächten tief unter der Erde. Das verwundert nicht - viele Länder, die Atomkraftwerke betreiben oder betrieben haben, suchen nach einer Lösung für das atomare Erbe. "Die Behälter mit Atommüll werden hier in 1.900 Millionen Jahre alten Felsen verbaut", sagt Tuohimaa. "Wenn du einen Geologen fragst, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Gestein beschädigt werden könnte, dann lacht er nur."
Vor mehr als zwei Jahrzehnten stimmte der Gemeinderat von Eurajoki - einem Ort mit etwas mehr als 9.000 Einwohnern - mit einer großen Mehrheit dafür, auf Gemeindegelände den finnischen Atommüll zu vergraben. Über die mitunter emotional aufgeladene Endlagerdiskussion in Deutschland schütteln die Finnen nur mit dem Kopf. Sie setzen nach wie vor auf Atomkraft und sind der Meinung: Wer von der Atomkraft profitiert, muss auch eine Lösung für den Müll bereitstellen. Die Mehrheit der Bevölkerung vertraut außerdem darauf, dass die AKW-Betreiber ein sicheres Endlager tief in den Granit bauen.
Geeignete Bedingungen statt "bestmögliche Sicherheit"
Der Onkalo-Chefgeologe Tuomas Pere tauscht sich regelmäßig auch mit deutschen Wissenschaftlern aus. Er weiß, dass man hierzulande anders tickt. Auf die Frage, ob das Endlager die besten Bedingungen biete, antwortet er: "Es sind die geeigneten Bedingungen für unser Konzept."
Und genau das ist der Unterschied: Die Finnen arbeiten mit einem geeigneten Standort. In Deutschland will hat man sich ein höheres Ziel gesetzt - und sucht nach dem "bestmöglichen Standort". Nachdem der Salzstock Gorleben vor einigen Jahren als Endlager ausgeschieden ist, begann die Suche von Neuem, sozusagen auf einer weißen Landkarte.
Dafür durchkämmt die Betreibergesellschaft, die "Bundesgesellschaft für Endlagerung", die gesamte Republik. Nach und nach werden Teilgebiete ausgeschlossen, es wird ausgesiebt. 44 Prozent der Landesfläche sind noch im Rennen. Am Ende soll dann ein Standort übrig bleiben - früher hieß es 2031, mittlerweile kursiert die Zahl 2074.
Wann es tatsächlich so weit sein wird - auf eine genaue Jahreszahl legt sich niemand mehr fest, auch nicht die Geschäftsführerin der Bundesgesellschaft für Endlagerung, Iris Graffunder: "Was mich extrem optimistisch macht, ist, dass wir in Deutschland sehr, sehr gute geologische Formationen haben. Es ist nicht die Frage, ob wir hier einen Standort finden, sondern es fast ein bisschen die Qual der Wahl. Deswegen bin ich sehr optimistisch, dass es uns gelingt, einen sehr guten Standort, den mit der bestmöglichen Sicherheit bis Mitte des Jahrhunderts finden zu können."
Experten-Skepsis, was den Zeitplan angeht
Regelmäßig laden die beteiligten Behörden zu Veranstaltungen ein, auf denen über den Stand der Endlagersuche, Teilgebiete, Gesteinsarten und die einzelnen Phasen informiert wird - zum Beispiel dieses Jahr auf der Leipziger Buchmesse. An dem unscheinbaren Stand herrschte großer Andrang. Transparenz ist das Ziel. Große Erleichterung war zu spüren bei den Besucherinnen und Besuchern, deren Region schon ausgeschlossen ist. Wie bei Lydia Siegler aus Wernigerode im Harz: "Ich bin froh, wenn ich weiß, dass das nicht vor meiner Haustür ist. Aber natürlich weiß ich, dass es irgendwo ein Endlager braucht."
Experten wie Bruno Thomauske sind deutlich pessimistischer, was den Zeitplan angeht. Der Physiker hat für das Bundesamt für Strahlenschutz gearbeitet, war Kernkraft-Chef bei Vattenfall und später in der Forschung tätig. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Suche nach einem Endlager, hat dabei auch Kritik auf sich gezogen.
Dass ein Standort gefunden wird, der bestmögliche Sicherheit bietet, bezahlbar bleibt und die Öffentlichkeit miteinbezieht, sei unrealistisch, so Thomauske. Er geht davon aus, "dass vor 2079 ein Standort nicht gefunden ist, der dann noch überprüft, genehmigt und errichtet werden muss, sodass wir in diesem Jahrhundert nicht mehr an einen Endlagerstandort kommen".
Ganz anders in Finnland, 400 Meter unter der Erde: Die Anlage ist betriebsbereit, im kommenden Jahr werden hier voraussichtlich die ersten hochradioaktiven Abfälle eingelagert. In Deutschland liegt das radioaktive Erbe noch viele Jahrzehnte in oberirdischen Zwischenlagern. Wie er das findet, dazu äußert sich Pressesprecher Tuohimaa nur, wenn die Kamera aus ist. Er müsse diplomatisch bleiben, sagt er und grinst.