Eine Ausstellung des Rowohlt-Verlag mit historischen Taschenbuch-Bänden.

75 Jahre Taschenbuch Literatur für alle

Stand: 17.06.2025 13:36 Uhr

Fallada, Tucholsky und Greene: Vor 75 Jahren machte der Rowohlt-Verlag mit seinen Taschenbüchern Weltliteratur für wenig Geld allen zugänglich. Die Idee entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte.

Von Jens Büchsenmann, NDR

Heute vor 75 Jahren wurde das Taschenbuch erfunden. In Hamburg erschien mit "Kleiner Mann - was nun?" von Hans Fallada der erste Band - mit einer Startauflage von 50.000 Exemplaren. Seitdem sind 540 Millionen Rowohlt-Taschenbücher erschienen. Das ist mehr als eine halbe Milliarde allein von einem Verlag. Bis heute zählt man dort mehr als 20.000 Titel: Krimis, Romane, Ratgeber, Unterhaltung ebenso wie große Literatur.

Der Beginn einer Erfolgsgeschichte

1950 setzte Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Sohn von Verlagsgründer Ernst Rowohlt, eine Idee um, die er aus den USA mitgebracht hatte: das Pocket Book. Er ließ es zuerst auf billigem Zeitungspapier drucken - auf einer alten Rotationsmaschine, die den Krieg in einer Scheune bei einem Bauern im nordfriesischen Leck überdauert hatte.

Hier, in der Druckerei Clausen & Bosse, entstanden die ersten "Rowohlt-Rotationsromane", in einem Format, das einer gefalteten Zeitung ähnelt. Aus ihnen entwickelte man bei Rowohlt, auf besserem Papier im "Lumbeck Klebebindeverfahren", das bis heute bekannte Format des "rororo Taschenbuchs".

"Richtig gute Literatur für alle"

Die Hamburger Kleinverlegerin Else Laudan hat sich die Rotationsmaschine in Leck zeigen lassen, als sie in den 1960er-Jahren ihren eigenen Verlag Argument und Adriana gründete: "Ich fand die Erzählung von der Rotationsmaschine toll", erzählt Laudan, "weil es da einfach zusammenläuft: die Produktionsmittel, die Idee, der Idealismus".

Und so führt Laudan auch heute noch die Geschäfte bei Argument und Ariadne, dem kleinen Hamburger Verlag für kritische Wissenschaft, politische Literatur und Kriminalromane. Links, feministisch - und ganz im Sinn des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, der die Kultur von den Zwängen des Kapitalismus befreit sehen wollte.

"Das ist im Grunde der Beginn der Massenliteratur. Das ist eine Idee, die mich als linke Träumerin und Gramscianerin begeistert: also richtig gute Lektüre für alle", sagt Laudan.

Verlagsgründer Rowohlt war skeptisch

Gute Lektüre für alle: Das bedeutete damals, Autoren und Autorinnen zu lesen, die im Nationalsozialismus nicht zu haben waren. Fünf Jahre nach Kriegsende, am 17. Juni 1950, startet Rowohlt die Taschenbuchproduktion. Die erste Ausgabe, "Kleiner Mann - was nun" von Hans Fallada, bekommt am Buchrücken noch einen Streifen "Halbleinen" angeklebt, um den Verlagsgründer Ernst Rowohlt zu beruhigen, der der Idee seines Sohnes mit den billigen Büchern skeptisch gegenübersteht.

Doch am Ende rettet Ledig-Rowohlt mit der rororo-Reihe den Verlag, der kurz vor dem Konkurs stand. Literatur für alle: Das Konzept überzeugt bis heute.

Jubiläumsausstellung in Hamburg

Im Verlagsgebäude am Hamburger Hachmann-Platz, zwischen Hauptbahnhof und Deutschem Schauspielhaus, hat man eine kleine Jubiläumsausstellung eingerichtet. Martin Setzke aus dem Produktionsmanagment hat liebevoll Hunderte der historischen Bände aus dem Archiv geholt.

Die ersten vier hatten Erstauflagen von 50.000 Exemplaren: Neben Fallada waren das noch "Am Abgrund des Lebens" von Graham Greene, "Das Dschungelbuch" von Rudyard Kipling und "Schloß Gripsholm" von Kurt Tucholsky.

Diesem Nachkriegs-Lesehunger folgte der Aufklärungsdrang der Studentenbewegung - die Taschenbuchreihe rororo-Aktuell ist heute legendär. Setzke zeigt einen Band mit Texten vom Wortführer der Studentenproteste Rudi Dutschke von 1968: "Damals haben diese politischen Sachbücher, die in unglaublicher Geschwindigkeit auf den Markt geworfen wurden, innerhalb eines Monats 70.000 Exemplare verkauft."

Eine Ausstellung des Rowohlt-Verlag mit historischen Taschenbuch-Bänden.

Auch "Das Dschungelbuch" von Rudyard Kipling erreichte mit seiner Erstauflage als Taschenbuch 50.000 Exemplare.

"Das ist die DNA unseres Verlags"

Und überhaupt liege hier eine enorme Anzahl von Backlist-Titeln, also Verlagsrechte, die zum Teil seit Jahrzehnten bestehen, sagt Sünje Redies, Leiterin des Belletristik-Programms beim Rowohlt Taschenbuch. Hier hält man in preiswerten Taschenbuch-Ausgaben große Autoren vor wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Albert Camus, Ernest Hemingway, Wladimir Nabokov, aber auch Martin Walser bis hin zu Daniel Kehlmann oder Heinz Strunk.

"Das ist ein großer Fundus und die DNA unseres Verlags - und wirklich ein bedeutender Anteil, den das Taschenbuch nach wie vor ausmacht", sagt Redies.

Eine Ausstellung des Rowohlt-Verlag mit historischen Taschenbuch-Bänden.

Im Verlagsgebäude am Hamburger Hachmann-Platz hat der Rowohlt-Verlag eine kleine Jubiläumsausstellung eingerichtet.

Renner im Buchhandel

So sieht man das auch im Buchhandel. Dort kann man nach wie vor nicht auf das Taschenbuch verzichten. Sönke Schneider leitet in der Hamburger Buchhandlung Heymann die entsprechende Abteilung: "Das Taschenbuch ist nach wie vor elementar wichtig für den Buchhandel. Nicht nur als Geschenk ist es immer noch beliebt, es ist auch für den Urlaub eigentlich das Medium."

Beliebt sei es auch, wenn eine Filmpremiere anstehe und das Buch zum Film als Paperback erscheine - oder bei anderen aktuellen Ereignissen. Als die Wahl des Papstes in Rom anstand, "war der Thriller von Robert Harris Konklave noch mal großes Thema. Da gab’s die Taschenausgabe vom Heyne Verlag, und die war dann ein Renner", erzählt Schneider.

Massive Unterschiede beim Verkaufserlös

Größere Auflage, mehr Publikum: Was für Verlage und Handel in jedem Fall ein gutes Geschäft ist, stellt sich aus Sicht der Autoren differenzierter dar. Isabel Bogdan etwa lebt als erfolgreiche Autorin und Übersetzerin in Hamburg. Gerade ist ihr Buch "Wohnverwandschaften" erschienen. Ihre Romane "Laufen" und "Der Pfau" wurden Bestseller und liefen im Kino und im Fernsehen.

Sie weist darauf hin, dass Autoren prozentual am Verkaufserlös beteiligt sind: "Das Hardcover kostet über den Daumen gepeilt doppelt so viel wie das Taschenbuch. Das machte einen massiven Unterschied, ob man Taschenbücher oder Hardcover verkauft. Da muss man schon sehr viele von verkaufen, um halbwegs von leben zu können", sagt die Autorin.

Ein zweischneidiges Schwert also, wenn hohe Auflagen sich nicht automatisch in höheren Honoraren niederschlagen. Profitieren vom nachhaltigen Erfolg des Taschenbuchs können in jedem Fall Vielleser und Vielleserinnen. Denn das Taschenbuch ist, auch in Zeiten von Podcast, Hörbüchern und Online-Angeboten, ein Massenmedium im besten Sinne. "Richtig gute Literatur für alle" - heute wie vor 75 Jahren.