Windkraftanlage vor blauem Himmel.

Thüringen Zwischen Protest und Gesetzesdruck: Warum Thüringens Regionalplaner jetzt schnell viele Windflächen ausweisen

Stand: 15.06.2025 05:00 Uhr

Nicht mal ein halbes Prozent seiner Landesfläche hat Thüringen für Windräder ausgewiesen. Viele Jahre hatte sich bei den Vorranggebieten nichts bewegt. Dann hat der Bund die Länder zu Flächenbeiträgen verpflichtet. Jetzt müssen die Regionalplaner ganz schnell neue Flächen finden.

Von Loréne Gensel, MDR THÜRINGEN

Es ist nur wenige Monate her, da waren einige Einwohner von Badra, Auleben und Heringen (Helme) in Nordthüringen ziemlich perplex. Das Telefon klingelte - oder es klingelte gleich an der Haustür.

Ohne Vorankündigung sprachen Menschen, die da im Auftrag der Windfirma "Erneuerbare Energien Fabrik" (EEF) unterwegs waren, die Angerufenen oder Aufgesuchten an: Sie besitzen ein Grundstück und das möchte die Firma nutzen für den Bau von Windrädern.

Windfirma will schnell Verträge machen

Die Anrufer bzw. Besucher waren ziemlich gut vorbereitet: Sie agierten mit detaillierten Flurkarten und rechneten Summen vor, die fließen sollen. Viele der Angesprochenen fühlten sich überrumpelt.

Mitte Mai gab es dann in Nordhausen eine Info-Veranstaltung von EEF für die Grundstückseigentümer. Dort war die Rede von zehn bis 14 Windrädern, die EEF in die Flur nordwestlich von Badra setzen will. Typ Nordex 175, vom Boden bis zur Spitze des Rotorblattes gut 280 Meter hoch. Die Grundstückseigentümer bekamen dort Musterverträge in die Hand. Und rund um Pfingsten flatterten schon fertige Verträge in die Briefkästen - inklusive Unterschrift von EEF.

Windkraftanlagen auf einem Feld.

Blick auf den Windpark Teutleben im westlichen Thüringen.

Deutlicher Unwille bei der Regionalpolitik

Schneller sein als die Konkurrenz bei der Flächensicherung - die Windfirmen sind unter Druck. In Thüringen stehen auf nicht mal 0,4 Prozent der Landesfläche knapp 870 Windräder. Ein Prozent soll es werden, hat die ehemalige rot-rot-grüne Thüringer Koalition ins Klimagesetz geschrieben.

Doch die offiziell ausgewiesenen Vorrangflächen für Windräder waren verbraucht, neue kamen nicht dazu. Solche Flächen festzulegen ist in Thüringen Aufgabe der Regionalen Planungsgemeinschaften Ost, Mitte, Nord und Südwest. Die Entscheider in diesen Gemeinschaften sind die Landräte, Oberbürgermeister der kreisfreien Städte und Bürgermeister größerer Städte.

Die Parteien, die im Landtag dieses ein Prozent-Ziel beschlossen haben, hatten auf dieser politischen Ebene aber nie eine Mehrheit. Vor allem christdemokratische Amtsinhaber verzögerten regional über Jahre, dass die Windflächen für Thüringen ausgeweitet wurden. Chancen für neue Windräder fanden die Windfirmen nur noch dort, wo alte Anlagen ersetzt werden mussten.

Greizer Ex-Landrätin gegen Ziel des Landes

Im Frühjahr 2019 hatte die langjährige CDU-Landrätin des Kreises Greiz und Präsidentin der Regionalen Planungsgemeinschaft Ostthüringen, Martina Schweinburg, MDR THÜRINGEN gesagt: "Das Ein-Prozent-Ziel ist eine Sollvorschrift und eine Wunschvorstellung der Regierungsparteien. Es ist praktisch und faktisch unmöglich, hier ein Prozent herzustellen. Aber das wird man in der Regierung in Erfurt vielleicht noch lernen müssen."

Dreieinhalb Jahre später wurde in Berlin der Grüne Robert Habeck Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Es dauerte nur sieben Monate, bis er und die Energieexperten seiner Partei ihre "Wunschvorstellung" in ein Gesetz geschrieben hatten: Das "Gesetz zur Festlegung von Flächenbedarfen für Windenergieanlagen an Land" “(Wind-BG).

Berlin macht Druck mit Flächenvorgaben

Ziel des Bundesgesetzes ist, bis Ende 2032 zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergie zur Verfügung zu stellen, 1,4 Prozent davon bis Ende 2027. Konkret und verbindlich teilt dieses Gesetz jedem Bundesland seinen Beitrag zu: Bis Ende 2032 muss Thüringen 2,2 Prozent seiner Fläche als Windvorranggebiete ausweisen, 1,8 Prozent davon bis Ende 2027.

Zusätzlich musste jedes Bundesland in Berlin nachweisen, dass es gesetzliche Vorschriften in Kraft setzt, die das absichern. Thüringen hat im vergangenen Jahr dafür sein Landesentwicklungsprogramm geändert. Das regelt jetzt, welchen Flächenbeitrag jede der vier Planungsregionen für die Vorgabe aus Berlin beisteuern muss.

Vorgaben für Thüringer Planungsregionen
Planungsregionen (Gebietsstand: 31.12.2023) 31.12.2027 (Zwischenziel) in ha und Anteil Panungsregionsfläche 31.12.2032 (Gesamtziel) in ha und Anteil Planungsregionsfläche
Nordthüringen 9.058 ha (2,5%) 11.071 ha (3,0%)
Mittelthüringen 6.575 ha (1,8%) 8.037 ha (2,2%)
Ostthüringen 6.632 ha (1,4%) 8.106 ha (1,7%)
Südwestthüringen 6.899 ha (1,7%) 8.432 ha (2,0%)

Quelle: Landesentwicklungsprogramm Thüringen 2025

Abwarten hat Thüringer CDU nichts genützt

Ein weit verbreitetes Kalkül der CDU-Kommunalpolitik in Thüringen hat sich inzwischen als unbrauchbar erwiesen: Abwarten, bis die Tage der Ampel vorbei sind und die eigene Partei wieder in Berlin regiert. In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD nämlich vereinbart: "Wir setzen den Ausbau der Windkraft fort. Die Zwischenziele des Windfächenbedarfsgesetzes für 2027 bleiben unberührt. Die Flächenziele für 2032 evaluieren wir."

Und diese Passage macht jeden Widerstand aus den Regionen gegen die Flächenvorgaben des Bundes sinnlos. Denn auch unter Schwarz-Rot in Berlin gilt das, was seit der Verabschiedung des WindBG sinngemäß so geregelt ist: Dort, wo die vorgegeben Flächenbeiträge zum Stichtag nicht erreicht werden, dürfen überall Windräder beantragt, genehmigt und gebaut werden. Das ist Teil der Sonderregelungen von §249 des Baugesetzbuches für Windräder auf dem Festland.

Regionen suchen fieberhaft neue Flächen

Wie das letztgenannte Druckmittel aus Berlin wirkt, lässt sich in Thüringen gerade gut beobachten. In Mittelthüringen hat die Regionalplanung schon Ende 2023 - als die rechtliche Situation noch nicht bis ins letzte Detail geklärt war - einen neuen Entwurf mit 44 Windvorranggebieten plus 11 Gebieten für die Stromversorgung von Gewerbe und Industrie (2,3 Prozent der Fläche) beschlossen.

Er lässt Raum für die Beteiligung der Öffentlichkeit: Sollten wegen schwerwiegender Einwände noch Flächen rausfallen, ist die Flächenvorgabe für 2027 nicht gefährdet. Auch Ostthüringen geht so vor: Anfang Juni 2025 hat hier die Regionale Planungsversammlung den inzwischen dritten Entwurf beschlossen: Die Zahl der Windvorranggebiete steigt von 22 auf 67 (1,7 Prozent der Fläche). (LINK)

Den Frust der Ostthüringer nimmt Martina Schweinsburg in Erfurt entgegen: Sie hat sich als Landrätin verabschiedet und ist jetzt Abgeordnete im Thüringer Landtag.

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Alle Regionen fassen neue Beschlüsse

In Nordthüringen tagt die Regionale Planungsversammlung am 18. Juni 2025, um einen dritten Entwurf mit neuen Windflächen zu beschließen. 2,5 Prozent ihrer Fläche muss die Region bis Ende 2027 ausweisen. In Südwestthüringen sind es 1,7 Prozent. Dort hatten sich wichtige Kommunalpolitiker wie Ex-Landrat Reinhard Krebs von der CDU besonders hartnäckig geweigert, über neue Windvorranggebiete nachzudenken.

Mitte Juni (11.6.25) hat sich die Regionale Planungsversammlung jedoch getroffen und beschlossen: Im ersten Quartal 2026 werden wir einen ersten Entwurf mit neuen Windvorranggebieten beschließen und 1,7 Prozent unserer Fläche ausweisen. Für Mittelthüringen gab es schon, für die anderen drei Regionen wird es das übliche öffentliche Beteiligungsverfahren geben.

Ein Windpark mit mehreren Windrädern von der Plattform eines Windrades fotografiert

Windräder im Windpark Nentzelsrode im Landkreis Nordhausen.

Neue Vorrangflächen sorgen für Proteste

In Mittelthüringen haben sich Bürger organisiert und einige neue Initiativen gegründet, nachdem die Karten der neuen Windvorranggebiete veröffentlicht waren. In Ostthüringen sind die Windkraft-Gegner ohnehin sehr stark, dort wird mit noch mehr Protest gerechnet.

Auch in Nordthüringen, wo Proteste gegen Windräder in den letzten Jahren die Ausnahme waren, regt sich Widerstand. So hoffen in Badra viele Bürger, dass am 18. Juni "alles gut geht". Was so viel bedeutet wie: Zwischen Badra, Auleben und Heringen wird kein Windvorranggebiet ausgewiesen.

Fundament für ein Windrad.

Fundament für ein Windrad östlich des Hörselberges.

Gegner haben bei Windplanung kein Vetorecht

Windflächen ausweisen - das ist in Thüringen Sache der Regionalplanung. Und das ist das Problem für Windkraftgegner. Und Gemeinderäte. Proteste sind für die Planer kein Faktor, der berücksichtigt wird. Auch Gemeinderatsbeschlüsse nicht. Oder Ergebnisse von lokalen Bürgerbefragungen.

In jeder Region wird mit einem Beschluss über neue Windvorranggebiete auch ein umfangreicher Katalog der Kriterien veröffentlicht, nach denen abgewogen wurde: Schutz von Menschen und ihren Wohngebieten, Rücksicht auf Industrie, Verkehr und Infrastruktur, die Landwirtschaft, das Kulturerbe, Schutz von Natur und Umwelt sowie viele andere Belange.

Windfirmen bekommen vorab keine Zusagen

Beschlüsse über neue Windflächen werden von den Regionalen Planungsstellen vorbereitet. Die Leiterin der Regionalen Planungsstelle Nordthüringen, Prof. Ariane Ruff, bestätigt, dass sie und ihre Mitarbeiter Gespräche führen, wenn ein neuer Beschluss vorbereitet wird. Vertreter von Windfirmen bitten um Termine.

"Die kennen unsere Kriterien, machen eigene Analysen und Planungen, teilen uns ihre Flächenvorschläge mit. Und das war's." sagt Ruff. "Hier in der Planungsstelle identifizieren wir geeignete Flächen. Aber wir sprechen uns nicht ab mit den Windfirmen. Die sichern sich ihre Flächen unabhängig von der Regionalplanung. In der Hoffnung, dass die Flächen am Ende ausgewiesen werden - auf eigenes Risiko."

Fundament für ein Windrad.

Thüringen liegt beim Ausbau der Windenenergie bundesweit hinten.

Planer gleichen regionale Interessen aus

Und so, wie Windfirmen hier kein Vorschlagsrecht haben, ist es auch mit den Bürgermeistern und Gemeinderäten. "Windvorranggebiete werden auf der Ebene der Regionalplanung geplant", sagt Prof. Ruff. Das sei eine Ebene zwischen dem Land und den Kommunen, wo auch Entscheidungen über Industriegebiete oder über Rohstoffabbau angesiedelt seien.

Es gehe bei der Windenergie um Belange, die nicht nur Interessen von Gemeinden betreffen, sondern die einer ganzen Region. Aufgabe der Planer sei, diese Interessen innerhalb einer Region abzuwägen und auszugleichen.

Gemeinden dürfen selbst Windparks planen

Es gibt allerdings auch Orte in Thüringen, die gern ein Windvorranggebiet hätten, aber seit Jahren vergeblich darum kämpfen. Zum Beispiel Günserode - so wie Badra auch eine Ortsteil der Gemeinde Kyffhäuserland. Seit 2014, sagt Bürgermeister Knut Hoffmann (CDU), gebe es Gespräche mit einer Windfirma für einen Windpark mit fünf bis sieben Anlagen.

Die Gemeinde und das Unternehmen seien seit Langem einig darüber, wie die Kommune von diesem Projekt finanziell profitieren würde. "Es geht uns darum, wie die Gemeinde ein wenig von der Energiewende profitieren kann und wir unsere Einnahmesituation verbessern können", sagt Hoffmann.

Arbeiter montieren Rotorblätter eines Windrades

Arbeiter montieren Rotorblätter eines Windrades im Windpark Ebenheim im Landkreis Gotha.

Seine Gemeinde versucht seit Jahren, an der Regionalplanung vorbei einen Windpark zu realisieren - erfolglos. Die gute Nachricht für Orte wie Günserode ist allerdings: Die ehemalige Ampelregierung hat für solche Gemeinden einen Weg geschaffen, parallel zur Regionalplanung eigene Windflächen zu planen - in eigener Hoheit und ohne Vorranggebiet vorm Dorf.

MDR (log/mm)