
Thüringen Oper als Spielshow: Mozarts "Zauberflöte" im Sommertheater Weimar
Am Deutschen Nationaltheater (DNT) Weimar holt Regisseurin Anna Weber Mozarts Oper "Die Zauberflöte" im Stil von Fernseh-Shows und Computerspielen in die Gegenwart. Am Samstag feierte ihre Inszenierung Premiere auf der Sommertheater-Bühne im E-Werk Weimar – und überzeugte mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Spielshow, Musiktheater und Wrestling-Match, wie unser Kritiker findet. Besonders lobt er die sängerische Leistung der Königin der Nacht.
- Regisseurin Anna Weber hat in Weimar eine gewagte Fassung der Oper "Die Zauberflöte" auf die Sommerbühne im E-Werk gebracht.
- Sie inszeniert die Oper als Spielshow-Spektakel in Computerspiel-Ästhetik.
- Neben dieser Idee lobt unser Theaterkritiker besonders die sängerische Leistung der Königin der Nacht.
Es ist die 360.000-Euro-Frage. So viel kann das Deutsche Nationaltheater mit der "Zauberflöte" bei insgesamt 12 Vorstellungen einnehmen, wenn, salopp gesprochen, die Hütte voll ist. Aber wie? Die Frage hat sich vermutlich schon Theaterdirektor Goethe gestellt, als er 1794, drei Jahre nach der Uraufführung, die Oper selbst in Weimar inszenierte.
Zauberopern mit großen Bühneneffekten waren damals Publikumsmagneten. Stücke, die verschiedene musikalische Formen vom Volkstheater bis zur seriösen Oper, gewürzt mit spektakulären Koloratur und Bassarien boten, sozusagen das Sahnehäubchen. Und heute? Wie schafft man es, eine musikalische Sommeroper für die ganze Familie mit Fokus auf der Jugend zu servieren, um sich ein Publikum für die Zukunft zu sichern?

Das würfelförmig zusammengesetzte Bild auf der Sommertheater-Bühne im E-Werk Weimar erinnert unseren Kritiker an einen Zoo.
Regisseurin Anna Weber, die schon mit einer schrillen Operetteninszenierung, der "Prinzessin von Trapezunt" am DNT positiv aufgefallen war, entscheidet sich bei ihrer "Zauberflöte" für eine eigene Spielfassung und zeigt die Oper als "Spiel-Show-Spektakel zwischen Commedia dell'arte, Samstagabendshow und musiktheatralem Wrestling-Match" – so steht es auf der Homepage des Theaters. Und die Sache gelingt erstaunlich gut.
Bühnenbild überzeugt – in strahlendem Pink
Für die Show ist als Bühne eine Art Kletterfelsen wie im Zoo aus ganz vielen Würfeln zusammengesetzt, komplett in pink. Links von dem Felsen, am Spielfeldrand in einer Art silbernen Kabine, ist die eine Mannschaft positioniert; rechts in knallgelb die andere. Klar: knallgelb, das ist die Sonne, das Licht der Aufklärung, und steht für Sarastro; links der Silbermond steht für die Königin der Nacht. Beide sind dann auch die ganze Zeit auf der Bühne präsent, beobachten und kommentieren ihre Spieler, die auf der Bühne agieren.
Gespielt wird um den siebenfachen Sonnenkreis. Wer ihn hat, besitzt alle Macht der Welt. Dieser Sonnenkreis sieht aus wie der DFB-Pokal und wird zu Beginn in die Arena getragen, von einer Cheerleader-Gruppe und von Fußballfans mit Schals und mit Trommel – das ist hier der Chor. Der Pokal thront dann die ganze Zeit für alle sichtbar oben, mittig auf der Bühne.

Die Königin der Nacht und ihr Team treten in der neuen Weimarer Inszenierung gegen das "Team Sarastro" an.
"Team Königin" tritt gegen "Team Sarastro" an
Dann treten die "Spielenden" auf. Das ist Monostatos vom "Team Sarastro", der schon bei den letzten Sonnenkreis-Spielen vor sieben Jahren gegen Pamina gewonnen hatte. Seitdem ist Pamina im Team Sarastro und tritt also mit Monostatus an, allerdings sehr unwillig. Auf der anderen Seite im "Team Königin" haben wir Papageno – und hier kommt dann ein Publikums-Joker ins Spiel, weil das "Team Sarastro" schon vor Spielbeginn unfair agiert: ein Zuschauer darf jetzt im "Team Königin" mitspielen: Prinz Tamino. Der ist natürlich ein echter Sänger und spielt hier nur den Zuschauer.
Die drei Damen gehören auch zum "Team Königin". Zu Sarastro kommen die zwei Geharnischten, die aussehen wie Bodyguards. Die drei Knaben sind Sternchen, Emojis: auch sie sind Joker, die die Königin der Nacht später einsetzen wird.

Auch zwei geharnischte Figuren zählen zum "Team Sarastro" – sie treten auf wie Bodyguards.
Dieses Setting funktioniert erstaunlich gut und holt die "Zauberflöte" in unsere Alltagswelt, indem sie die Ästhetik von Fernseh-Shows und auch Computerspielen variiert. Dieses Setting aus dem Bühnenbild von Judith Philipp und dem Kostümbild von Stella Lennert ist immer auch konsequent und wirkt einfallsreich – und wird in schrillen Farben präsentiert: neongelb, giftgrün, lila.
Highlight ist die Königin der Nacht von Ylva Stenberg. Ihre Stimme hat einen so vollen, warmen, auch tiefen Klang. Dazu noch – immer treffsicher – die Spitzentöne in den Koloraturarien! Stefan Petraschwesky, MDR KULTUR-Theaterredakteur |
Spiel-Level statt Opern-Akte
Die Akte beziehungsweise Szenen der Originaloper sind hier in verschiedene Spiel-Level umgewandelt, die mit Computerstimme angesagt werden. Spiel-Level 1 heißt zum Beispiel: "Nutze die Bäume, um dich vor deinen Feinden zu verstecken"; Spiel-Level 3: "Springe über die Wolken, um vor deinen Feinden zu fliehen".
Es gibt auch Straf-Level: das sind die Feuer- und Wasserproben am Ende der Oper. Und es gibt immer wieder Time-Out-Momente, die die Königin oder Sarastro einfordern, um im Zwiegespräch ihre Spielerinnen und Spieler zu coachen – das sind dann die berühmten Arien der Königin der Nacht und die Arien Sarastros – tolle Idee!

Mit dieser gewagten Interpretation der Oper sprach die Regisseurin bei der Premiere viele junge Menschen an.
Showmaster führt durch den Abend in Weimar
Durch die Handlung, beziehungsweise hier durch das Spiel, führt ein Sprecher, ein Showmaster im Silberkostüm: Uwe Schenker-Primus, ein gestandener Bariton aus dem Ensemble, der seine Rolle mit viel Witz ausfüllt, und gelegentlich auch auf die Musik, schon auf die Ouvertüre, spricht. Dafür bringt der Sänger allerdings Respekt und ein genaues Timing mit – und hat auch noch einen Überraschungsmoment im Stückfinale, der hier nicht verraten werden soll.
Ganz am Ende, nach dem Applaus, kommen die Solisten nochmal auf die Bühne und geben Autogramme. Ein Gesamtkunstwerk also. In der Premiere holen sich die auffällig viele Teenager ab. Die Zukunft des Musiktheaters scheint in dieser gelungenen Interpretation vorerst gesichert!
Witzig: Statist im Zauberflöten-Kostüm
Apropos Musik: Das Orchester sitzt in der Fabrikhalle des E-Werks und wird nach draußen auf den Hof übertragen, wo die Tribüne mit 750 Plätzen für das Sommertheater aufgebaut ist. Es gibt keinen Orchestergraben, weil im Wechsel auch die Shakespeare-Komödie "Was ihr wollt" gespielt wird. Man sieht den Dirigenten nur auf drei kleinen Monitoren. Das ist schade, denn ein sichtbares Orchester hätte gut zur Gesamtästhetik gepasst, die immer wieder das Zeichenhafte betont und Theater als Theater ausstellt.

Besonders witzig fand das Publikum Jasper Schönig in seinem Zauberflöten-Kostüm.
Die Zauberflöte im engeren Sinn, also das titelgebende Musikinstrument, ist zum Beispiel ein Statist in einem Flötenkostüm. Dasselbe gilt für das Glockenspiel. Das sind sehr witzige Momente, die da entstehen, und das Publikum quittiert diese kleinen Auftritte mit viel Beifall.
Höhepunkt: Ylva Stenberg als Königin der Nacht
Sängerisch ist die "Zauberflöte" eine überzeugende Ensembleleistung. Großartig die drei Knaben, die drei Damen, Papagena, Papageno, Monostatos und Pamina. Fast alle, auch der Chor, zeigen Spielfreude und haben viel Energie. Zwei Wermutstropfen: dem Sarastro von Guido Jentjens fehlt Kraft und Seriosität in der Tiefe, er hatte auch sehr wenig zu spielen; Lars Tappert ist ein junger Tenor, der einen schönen und textverständlichen Ton findet, allerdings fehlt ihm auch (noch) die Kraft in den lang gehaltenen, oft auch hohen Tönen.

Ylva Stenberg konnte als Königin der Nacht an der Seite des Opernchors des DNT Weimar überzeugen.
Highlight ist die Königin der Nacht von Ylva Stenberg. Ihre Stimme hat einen so vollen, warmen, auch tiefen Klang, und dazu noch – immer treffsicher – die Spitzentöne in den Koloraturarien! Und sie ist auch eine große Schauspielerin, die in jedem Moment auf der Bühne präsent ist und ihre Rolle wirklich mit Klugheit jenseits der Klischees ausfüllt.
Schade, wie gesagt, dass die Staatskapelle nicht draußen spielen darf. Im Wechsel mit dem Schauspiel-Stück von Shakespeare wäre das wohl zu viel Umbau gewesen. Aber das, was man durch die Lautsprecher hört, ist technisch sehr sauber, sehr transparent im Klang und hat sehr schöne Tempi. Am Pult stand William Shaw, ein junger Dirigent, relativ neu in Weimar.

Die Oper auf der Sommerbühne in Weimar erinnert an ein musiktheatrales Wrestling-Match.
Sommertheater zeigt Utopie einer Welt ohne Hass
Die Zauberflöte entstand 1791, kurz nach der Französischen Revolution, als die Menschen – in heutigen Worten – gegen autoritäre Systeme für Freiheit gekämpft hatten. Während die Premiere in Weimar läuft, ist Krieg im Nahen Osten. Trump hält eine Militärparade ab. Und der Sprecher im Stück betont immer wieder: "Das Spiel kennt nur einen Sieger", und weiß: "Nur der Hass treibt voran!"
Aber Pamina und Papageno singen – und das ist ungeheuer bewegend, wenn die Vögel dazu in den Bäumen zwitschern und alles so friedlich wirkt – dieses schöne Duett mit dem Refrain: "Wir leben durch die Lieb allein!" Das ist eine Welt ohne Hass als Alternative. Und so scheint – an diesem lauen Sommerabend – eine Utopie noch möglich.
Mehr Informationen:
"Die Zauberflöte"
Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
in einer Spielfassung von Anna Weber
Adresse:
Sommertheater im E-Werk Weimar
Am Kirschberg 4
99423 Weimar
Termine:
Dienstag, 17.6., 19 Uhr
Mittwoch, 18.6., 19 Uhr
Freitag, 20.6., 19 Uhr
Samstag, 21.6., 19 Uhr
Donnerstag, 26.6., 19 Uhr
Freitag, 27.6., 19 Uhr
Mittwoch, 2.7., 19 Uhr
Sonntag, 6.7., 19 Uhr
Montag, 7.7., 9 Uhr
Donnerstag, 10.7., 19 Uhr
Freitag, 11.7., 19 Uhr
redaktionelle Bearbeitung: sg