
Thüringen Bessere Arbeitszeiten, weniger Stücke: Was die neuen Tarife für Theater bedeuten
Ab dem 1. August treten neue Tarifverträge an deutschen Theatern in Kraft. Beschäftigte erhalten verbindliche freie Tage pro Woche und regelmäßige freie Wochenenden. Am Theater Rudolstadt warnt die Leitung vor den Folgen: Die Proben könnten weniger flexibel gestaltet werden und es sei mit weniger Vorstellungen zu rechnen. Ein kleiner Blick hinter die Kulissen zeigt: Was für Theaterbeschäftigte eine Entlastung bedeutet, stellt kleinere und mittlere Häuser vor Herausforderungen.
- Ab dem 1. August sollen neue Tarifregelungen Theatermitarbeitenden mehr Planbarkeit und Entlastung ermöglichen.
- Theaterintendant Steffen Mensching warnt jedoch vor negativen Folgen: Künftig könnten weniger Stücke aufgeführt werden.
- Die Bühnengewerkschaft hält die neuen Rechte für unverzichtbar – auch für kleine Häuser.
Der Arbeitstag einer Theaterschauspielerin dauert nicht von 9 bis 17 Uhr: Die erste Probe geht meistens von 10 bis 14 Uhr und der Arbeitstag geht dann abends weiter mit der zweiten Probe oder dem Auftritt vor Publikum. Theaterproben und Vorstellungen an Wochenenden gehören dazu, genauso wie Flexibilität, was den nächsten Arbeitstag angeht, sagen Ulrike Gronow und Johannes Geißer. Beide stehen auf der Bühne des Theaters Rudolstadt.
Beide versuchen für sich, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, in einem Job, für den sie sehr viel Leidenschaft mitgebracht haben – und auch sehr viel Flexibilität.
Theateralltag zwischen Flexibilität und Verzicht
"Das Erste, das ich gelernt habe, ist, dass der Tagesplan entscheidend ist", sagt Schauspieler Johannes Geißer. "Es gibt zwar auch Monats- und Wochenpläne, aber erst am Vortag um 14 Uhr erfahre ich definitiv, was ich am nächsten Tag zu tun habe."
Freie Tage zu planen, sei oft nicht leicht, sagt seine Kollegin Ulrike Gronow: "Am Theater wird oft viel geplant, was dann in der Zeit schwer zu schaffen ist. Natürlich möchte keiner sagen: Weil ich unbedingt auf etwas bestehe, geht die ganze Produktion krachen." Dafür verzichte man dann auf den freien Tag, so die Schauspielerin.

Der Schauspieler Johannes Geißer war unter anderem im dem Liederabend "Kein schöner Land" zu sehen.
Mehr Verbindlichkeit am Theater gewünscht
Ab 1. August soll sich das bundesweit ändern. Darauf haben sich Anfang Mai die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA), die rund 7.000 Mitarbeitende an Schauspielhäusern vertritt, und der Deutsche Bühnenverein geeinigt. Mit den neuen Regeln verfolgt die GDBA zwei Ziele: Die Arbeit soll planbarer und Mitarbeitende weniger belastet werden.
Zu den größten Veränderungen gehören laut dem Vorsitzenden des Landesverbandes Ost der GDBA, Andreas Hammer, verbindliche Wochenpläne, ein freier Werktag pro Woche und acht langfristig geplante freie Wochenenden pro Jahr. "Um auch ein Privatleben besser organisieren zu können, und Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen", sagt Hammer, der selbst freier Schauspieler ist.

Andreas Hammer ist Vorstandsmitglied der GDBA und arbeitet selbst als Schauspieler, unter anderem am Anhaltischen Theater Dessau (Archivbild).
Auch die Zeit, welche die Schauspielenden für Vorbereitungen und das Textlernen brauchen, sollen ab August als Arbeitszeit erfasst werden. Im NV Bühne, dem Tarifvertrag für die künstlerisch Beschäftigten an den Theatern, gibt es laut Hammer keine festgeschriebene Arbeitszeit. Stattdessen gebe es im Tarifvertrag nur eine Notiz, dass nicht mehr als 44 Stunden pro Woche gearbeitet werden könne. "Es gibt also einen großen Baustein an Arbeitszeit, der in den Bereich Vertrauen fällt", sagt Hammer.
Außerdem komme es bei den Mitarbeitenden oft zu starken Belastungsspitzen, gerade in Phasen kurz vor einer Premiere, sagt er. "Und dann kam es eben zu Ausfällen, zu Krankheit, weil die Belastung so hoch war."
Künftig weniger Stücke am Theater Rudolstadt?
Ein Jahr Übergangsfrist haben die Theater, um die neuen Vereinbarungen umzusetzen. Der Intendant des Theaters Rudolstadt, Steffen Mensching, ist darüber alles andere als glücklich: "Wir müssen überlegen, ob wir die Produktionen, die wir für die nächsten Monate schon angedacht haben, auch so durchführen können, ob die Probenzeiträume und die Personalstärke, die wir haben, ausreichen", sagt Mensching.
Theater lebt von Spontanität. Die Eigenarten des Theaterbetriebs werden nicht berücksichtigt. Intendant Steffen Mensching über die neuen Tarifregelungen |

Schon seit 2008 leitet Steffen Mensching das Theater Rudolstadt.
Die Personaldecke am Theater in Rudolstadt, das durch die Stadt und die Landkreise getragen werde, sei dünn. Die gestiegenen Finanzierungshilfen durch das Land Thüringen seien besser geworden, "aber nicht so üppig", erklärt der Theatermacher.
"Das ist alles auf Naht genäht. Und wenn dann freie Tage zusätzlich zum alten Prozedere gewährt werden, stellt uns das vor Schwierigkeiten", sagt der Intendant. Für eine Produktion seien meist sechs Wochen Probenzeit eingeplant. Mit der neuen Regelung würden in den Augen von Mensching sechs Tage wegfallen.
Intendant fordert mehr Raum für kreative Freiheit
Sein relativ kleines Theater sieht Mensching im Vergleich zu den großen Theaterhäusern im Nachteil: Zum Ensemble gehören 14 Schauspieler, dazu kommen zwölf Gastschauspieler. Pro Spielzeit bringt das Theater rund 450 Vorstellungen auf die Bühne. Mensching geht davon aus, dass künftig weniger Stücke aufgeführt werden können – vor allem aufgrund der freien Tage, die langfristig vergeben werden müssen.
"Das Theater lebt von einer gewissen Spontanität. Das ist ein kreativer Prozess“, sagt er. "Da muss ich als Regisseur flexibel sein können, und an einer Szene, die noch nicht funktioniert, weiterarbeiten können. Wenn das aber alles fest geplant ist, dann haben wir ein starres Korsett." Er kritisiert, dass die neuen Tarifvereinbarungen die Eigenart des Theaterbetriebes zu wenig berücksichtigen.

Das Theater Rudolstadt wird aktuell saniert und umgebaut.
Gewerkschaft verteidigt neue Tarifregeln
Andreas Hammer von der GDBA kann diese Sorgen teilweise nachvollziehen: "Uns ist bewusst, dass gerade kleine Häuser wie das Theater Rudolstadt, aber auch andere, unter einem sehr hohen finanziellen Druck stehen." Es sei klar, dass es für diese Häuser schwierig ist. Deshalb habe man auch die Übergangsregelung eingeführt, damit die Häuser Zeit haben, das umzusetzen. Weil aber gerade kleine Theater auf das Herzblut und die Leidenschaft der Mitarbeitenden setzen, bedeute das für ihn auch, dass die neuen Regeln gerade für die Mitarbeitenden an diesen Häusern wichtig sind.
Die neuen Tarifeinigungen sollen aus Sicht der Mitarbeitenden also für mehr Planbarkeit und Entlastung sorgen. Bei den künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten der Theaterhäuser könnten sie aber zu Einschnitten führen, meint Theaterintendant Steffen Mensching – und zwar insofern, dass in Zukunft weniger Stücke aufgeführt werden könnten, und dann vor allem auf populäre Themen gesetzt werde, um dementsprechend großes Publikum zu erreichen.

Immer wieder finden sich im Spielplan des Theaters Rudolstadt populäre Titel wie "Der Tatortreiniger" nach der beliebten ARD-Serie.
Redaktionelle Bearbeitung: tsa, vp