
Schleswig-Holstein Hilfe bei häuslicher Gewalt: Start-up unterstützt Betroffene
Mehr als 9.300 Opfer häuslicher Gewalt gab es 2024 in Schleswig-Holstein. Sogol Kordi war selbst lange eine von ihnen - über ihre Online-Plattform "myProtectify" können sich Betroffene anonym melden.
Sogol Kordi ist nicht nur Gründerin des gemeinnützigen Start-ups "myProtectify", sie ist auch Überlebende von häuslicher Gewalt. "Vier Jahre lang habe ich die schlimmsten Formen von körperlicher, mentaler und sexualisierter Gewalt erfahren. Ich habe mir immer gesagt: Sogol, du musst es schaffen, sonst wirst du in dieser Beziehung sterben", erzählt sie.
Sogol Kordis' Weg aus der Gewalt
Ihr Weg raus aus der Gewaltbeziehung hat mehr als ein Jahr gedauert. Dabei hat sie sich oft allein gefühlt, wurde vom Frauenhaus und einer Psychologin zurückgewiesen. Als sie es geschafft hatte, war sie 25 Jahre alt. Ohne eigene Wohnung, Job oder Bankkonto.

Sogol Kordi ist Gründerin von "myProtectify" und hat vier Jahre lang körperliche, mentale und sexualisierte Gewalt erfahren.
Häusliche Gewalt in Schleswig-Holstein im Jahr 2024
- Sieben Menschen sind im Jahr 2024 durch häusliche Gewalt gestorben
- 71 Personen wurden schwer verletzt
- 9.360 Opfer wurden in der Kriminalstatistik erfasst
- Das sind 760 Fälle mehr als noch im Jahr 2023
- Mehr als 71 Prozent aller Betroffenen sind Frauen
Die Idee hinter Online-Plattform "myProtectify"
Doch obwohl es schon viele Hilfsangebote gebe, finden Betroffene von häuslicher Gewalt oft nicht die Hilfe, die sie brauchen, sagt Sogol Kordi. Denn schon die Onlinesuche nach Hilfsangeboten sei unübersichtlich. Außerdem seien die Angebote oft allgemein gehalten, die Situationen der Opfer aber sehr individuell.
Damit Personen wie sie leichter aus Gewaltbeziehungen herauskommen und wieder ein selbst bestimmtes Leben führen können, hat Kordi das Start-up "myProtectify" gegründet. Auf Deutsch bedeutet das so viel wie "mein Schutz". Hinter ihr und dem Start-up steht ihr Team: Co-Gründer Tobias Pörtner, Psychologin Ronja Zimmermann, Designerin Ann Rheinheimer und Betriebswirt Benedikt Görges.

Hinter "myProtectify" steht ein ganzes Team an Experten.
Anonyme Chat-Möglichkeit für Betroffene
Ihr Angebot ist eine browserbasierte Online-Plattform. Eine App gibt es nicht - aus gutem Grund: Gewalttätige Partner spionieren oft die Handys ihrer Opfer aus und würden eine App leicht finden. Deshalb wird "myProtectify" auch nicht im Browserverlauf gespeichert. Über die Online-Plattform können Betroffene rund um die Uhr mit dem KI-Chat "Maya" kommunizieren. Durch Ende-zu-Ende Verschlüsselung soll der Chat anonym und sicher sein.
KI-Chat unterstützt Betroffene - ohne zu werten
"Maya" chattet mit den Betroffenen ohne sie zu bewerten, so die Gründerin. Der Chatbot beantworte Fragen und versuche, passende Hilfsangebote zu finden. Und das nicht nur auf Deutsch: "Maya" spricht alle Sprachen - denn die Sprachbarriere ist für viele ein großes Problem bei der Hilfesuche. Die künstliche Intelligenz greift auf eine Wissensdatenbank zum Thema häusliche Gewalt zurück und sei damit deutlich besser als zum Beispiel allgemeine KI-Chats wie ChatGPT, sagt Kordi.

Der Chatbot "Maya" soll Frauen in Gewaltbeziehungen helfen.
Neben kurzfristigen Hilfsangeboten soll "myProtectify" auch dabei helfen, langfristig aus der Gewaltspirale herauszukommen. Daher gibt es auf der Plattform auch Informationen zu fundamentalen Themen wie Wohnungssuche, Jobsuche oder der Eröffnung eines Kontos.
Häusliche Gewalt sichtbar machen
Das Team von "myProtectify" will das Thema häusliche Gewalt in der Gesellschaft grundsätzlich sichtbarer machen. Viele Nachrichten von Betroffenen würden zeigen: Durch das, was sie zuhause erleben müssen, haben sie oft Probleme am Arbeitsplatz. Können sie weniger leisten oder sind krankgeschrieben, droht ihnen im schlimmsten Fall der Jobverlust. Das macht Betroffene finanziell noch abhängiger vom Partner.
"MyProtectify" gibt daher Workshops in Unternehmen und Institutionen: Arbeitgeber und Kollegen sollen lernen, richtig mit einer solchen Situation umzugehen und Betroffene zu unterstützen.
Mit ihrem Start-up haben Sogol Kordi und ihr Team 2024 beim "Waterkant-Festival" die "Pitch-Competition" gewonnen - als Preis durften sie sechs Wochen im Silicon Valley bei San Francisco verbringen, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Außerdem gewann "myProtectify" 2024 den Social Impact Award in Berlin sowie den Diversity Award und den Publikumspreis beim fördepreneur-Wettbewerb 2024 in Flensburg.
Betroffene sollen in den Fokus rücken
Diese Aufmerksamkeit helfe, die sichtbar zu machen, die wirklich wichtig sind: Die Betroffenen. Denn häusliche Gewalt werde selten von außen wahrgenommen, sagt Start-up-Gründerin Kordi. Die Menschen ertrugen sie im Verborgenen und hätten meistens keinen Kontakt zu anderen in derselben Situation. Deshalb soll die Online-Plattform auch eine Community werden, in der sie sich austauschen können.
Diesen Austausch mit anderen hätte Sogol Kordi in ihrer damaligen Gewaltbeziehung gebraucht. Als sie den Absprung geschafft hatte, zog sie sogar vor Gericht - ohne großen Erfolg. Ihr Ex-Partner arbeitet weiterhin in seinem Job als Bundespolizist. "Es gibt die Momente, wo ich mir sage, es ist schön, dass du noch am Leben bist und, dass du anderen Menschen jetzt die Kraft gibst, und ihnen sagst: du bist nicht allein."
- Hilfetelefon "Gewalt an Männern" - Telefon: 0800 1239900
- Weisser Ring
- Beratungsstellen für Frauen und Mädchen in SH
- Bundesweite Frauenhaussuche
- Männerberatung SH
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 19.06.2025 | 19:30 Uhr