
Sachsen-Anhalt Medienkompetenz – Debatte um Handyverbot an Schulen
Handys sind aus dem Alltag von Jugendlichen nicht mehr wegzudenken – und doch auch eine Gefahr. Bundesministerin Prien fordert sogar ein Verbot an Schulen. Sachsen-Anhalt zeigt sich offen. Ein Kommentar von Uli Wittstock.
Auch schon vor der Erfindung des Computers gab es Mobbing in der Schule. Doch was früher im Zweifelsfall zur Prügelei auf dem Schulhof führte, ist durch Social Media ein viel größeres Problem geworden. Denn im Netz können die Hetzer anonym bleiben und anderen dauerhaft nachstellen. Das ist gerade für Heranwachsende in Problem. Bundesbildungsministerin Prien hat nun ein Handyverbot an Schulen gefordert. Dafür gibt es Sachsen-Anhalt Unterstützung.
Vor zweihundert Jahren galt Lesen als gefährlich, vor allem für Kinder und Jugendliche. Später wurde dann vor übertriebenen Fernsehkonsum gewarnt. Jetzt also ist die Nutzung von Tik Tok oder Instagram ins Gerede gekommen. Ines Brock-Harder ist Psychotherapeutin in Halle und Vorsitzende des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (BKJ). Sie sieht in den sogenannten sozialen Medien zunächst durchaus eine wichtige Ergänzung: "Ich will das nicht grundsätzlich verteufeln. Kinder erfüllen sich damit ja auch Bedürfnisse nach Anerkennung, nach Kontakt, nach Zugehörigkeit, nach all den Dingen, die im sozialen Leben wichtig sind." Wäre das Angebot nicht verlockend, so würde es wohl auch nicht so intensiv genutzt werden.
Anstieg von psychischen Problemen
Dass die Pandemie mit den Schließungen von Kitas und Schulen eine besondere Herausforderung für junge Menschen war, ist inzwischen unstrittig. Und der Anstieg von Angststörungen und Depressionen unter Jugendlichen wird auch darauf zurückgeführt. Aber möglicherweise hat Corona nur einen Trend verstärkt, der sich schon vorher abzeichnete, nämlich fehlende Sozialkontrolle in der Onlinekommunikation.
Der Begriff Netiquette, der ja digitale Benimmregeln beschreibt, ist ziemlich aus der Mode gekommen, auch weil das Thema lange Zeit kaum jemand interessierte. Dabei wären solche Regeln eigentlich wichtig. Das bestätigt auch Ines Brock Harder: "Da wird viel Unreflektiertes und Missverständliches geschickt. Im digitalen Raum ist eine Stimmung, zu beobachten, die eben nicht so respektvoll und empathisch ist, wie man das möglicherweise im realen Leben gelernt hat." Benimmregeln gehören ja glücklicherweise in vielen Familien zum Alltag, die aber gelten in den seltensten Fällen auch für die digitale Welt.
Mangelnde Erfahrung der Erwachsenen
Die jetzige Elterngeneration wuchs überwiegend noch ohne Social Media auf. Das damals erfolgreiche Netzwerk Schüler VZ startete erst im Jahr 2007. Und auch wenn nun selbst die Großeltern in Netzwerken unterwegs sind, von Facebook bis zu WhatsApp, so sind vielen die Risiken für Kinder nicht immer bewusst. Ines Brock-Harder fordert deshalb klare Regeln: "Das Internet muss für Kinder unter 16 Jahren nur eingeschränkt nutzbar sein. Nicht nur wegen Mobbing, Es geht auch um gefährliche Trends, die da verstärkt werden, Essstörungen zum Beispiel."
Der Bildschirm kann eben auch zur Flucht aus einer echten oder eben vielleicht auch nur gefühlten Trostlosigkeit verleiten. Und das ist besonders für Kinder ein Risiko. "Die Verführung ist halt sehr groß, über Stunden nicht wieder rauszufinden und eben auch vermeintliche Freunde zu haben, mit denen man im realen Leben vielleicht nie in Kontakt war."
Handyverbot regeln die Schulen
Derzeit ist es Aufgabe der Schulen in Sachsen-Anhalt, den Umgang mit Handys zu regeln. Sachsen-Anhalt setzt da bewusst auf Eigenverantwortung, erklärt Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Feußner (CDU): "Den Schulen steht es also frei, über das Hausrecht und im Einvernehmen mit der Gesamtkonferenz den Umgang mit Smartphones festzulegen." Das hat den Vorteil, dass Schüler, Eltern und Lehrer an der Entscheidung beteiligt sind.
Darüber hinaus verweist das Bildungsministerium auf weitere Aspekte. Die Schule könne nicht die gesellschaftliche Reparaturwerkstatt sein. Und bei 900 Schulen im Land könne so ein Verbot auch kaum kontrolliert werden. Zudem würde so ein generelles Handyverbot auch pädagogischen Möglichkeiten beschränken. "Dort, wo es sinnvoll ist, können Smartphones an Schulen pädagogisch genutzt werden, statt sie zu verteufeln, zumal sie aus der Lebenswelt der jetzigen Generation nicht mehr wegzudenken sind."
Eltern sollten Vorbild sein
Nicht selten sieht man Mütter oder Väter auf dem Spielplatz sitzen und in ihr Handy starren, statt sich auf die Kinder zu konzentrieren. Für Ines Brock Harder ist das ein Teil des Problems: "Natürlich müssen auch die Eltern sensibilisiert werden. Ich will jetzt nicht sagen fortgebildet werden. Aber es muss die Möglichkeit geben, auch für Eltern schnell Informationen zu bekommen, wie sie auf die Handynutzung ihrer Kinder Einfluss nehmen können."
Mit Verboten werde man allerdings nicht viel erreichen, so die Kinderpsychotherapeutin. Stattdessen müsse es eine öffentliche Debatte geben, auch außerhalb der Familien und Schulen, unter Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen. Tatsächlich werden ja anderen Themen wie Rauchen, Alkohol oder illegale Drogen sehr viel stärker thematisiert als die Risiken des Internets.
MDR (Uli Wittstock)