
Rheinland-Pfalz Opa war (k)ein Nazi - Wie wir mit Tabus umgehen und wer davon profitiert
Unser Zusammenleben ist geprägt von Tabus. Darum geht es im SWR Demokratieforum am 17. Juni. Tabu heißt: Wir reden nicht darüber. Nicht über den schwulen Onkel. Nicht über die Depressionen der Schwester. Und auch nicht über die Nazi-Vergangenheit von Opa.
Der Soziologe Harald Welzer hat im Rahmen eines Forschungsprojekts Familien nach Nationalsozialisten in der Großelterngeneration gefragt. Nur drei Prozent der Befragten hatten von Befürwortern des Hitler-Regimes in der Familie gehört. Geschichten über das Leiden der eigenen Angehörigen unter Bespitzelung, Krieg und Gefangenschaft wurden hingegen viel erzählt. Aber: Opa, ein Nazi? Ein Tabu!
Mo Asumang gehört zu den drei Prozent die sagen: Oma war bei der SS. Als die Nationalsozialistin Großmutter eines afrodeutschen Enkels wurde, brach eine Welt zusammen. Dennoch zog sie das Baby auf. Die Nazi-Vergangenheit blieb tabu. Erst nach dem Tod der Großmutter erfuhr Mo Asumang von der Nazi-Vergangenheit beider Großeltern. "Wenn ich das früher erfahren hätte – ich hätte es nicht verstanden. Ich hätte mich auf dem Absatz umgedreht und wäre gegangen", sagt Asumang heute.
"Diese Kugel ist für dich"
Tabu heißt nicht nur Totschweigen. Tabu ist Ausgrenzung, Rassismus, ausgestoßen sein aus der Gemeinschaft. Als Moderatorin der tabu-brechenden Sendereihe "Liebe Sünde" in den 1990er Jahren, als afrodeutsche Frau in der Öffentlichkeit, war Asumang im Fokus der Rassisten. Eine Textzeile der Nazi-Band "White Aryan Rebells" lautete 2002: "Diese Kugel ist für dich, Mo Asumang". Nach dem ersten Schock ist Asumang mit der Kamera losgezogen: zu Neonazis, zu Anhängern des Ku-Klux-Klans, zu Rassisten in Deutschland und den USA.
Im Gespräch mit Neonazis und Ku-Klux-Klan
"Die Arier" heißt der Film, zu sehen in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung.
Der Film ist mittlerweile ein paar Jahre alt, aber von trauriger Aktualität. 80 Jahre nach der Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus werden rassistische und rechtsextreme Stimmen wieder lauter. "Man hätte früher mit den Rechten ins Gespräch kommen müssen", sagt Mo Asumang. Doch warum ist das nicht geschehen?
Der Soziologe Karl Otto Hondrich beschreibt, wie jede Gesellschaft Widersprüche in sich trägt: Schuld, Gewalt, Ungerechtigkeit. Würde all das offen benannt, könnte das den sozialen Zusammenhalt gefährden. Zu viel Wahrheit kann verstören, daher entstehe ein "Tabu-Prinzip“ – nicht bloß ein Verbot, sondern emotionale Abwehr gegen das "Berühren des Bösen". Doch mit dem Tod der Zeitzeugen verblasst die kollektive Erinnerung an die NS-Zeit. Verschwindet damit auch das Tabu?
Demokratieforum am 17. Juni im Hambacher Schloss
Wie soll eine Demokratie mit dem Verschwiegenen, dem Unsäglichen und vielleicht auch Unerträglichen umgehen? Darüber diskutiert der SWR Demokratieforum-Moderator Michel Friedman mit der Filmemacherin Mo Asumang, mit dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf und dem Rechtswissenschaftler und Journalisten Ronen Steinke.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit den Südwestdeutschen Medientagen statt.
Die Gäste
Mo Asumang moderierte in den 1990er Jahren die tabubrechende Sendung "Liebe Sünde". Als Dokumentarfilmerin und Autorin setzt sich die Gastprofessorin an der Hochschule für Film und Fernsehen in München mit Themen wie Rassismus und Identität auseinander. Sie engagiert sich für Menschenrechte und den interkulturellen Dialog.
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf beschäftigt sich unter anderem mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche und der Förderung des interreligiösen Dialogs. Kohlgraf setzt sich für einen differenzierten Blick der Kirche auf gleichgeschlechtliche Paare ein.
Ronen Steinke ist Rechtswissenschaftler und Journalist. Steinke ist einer der kritischsten Analysten rechter und antisemitischer Tendenzen in Deutschland. Er beschäftigt sich mit der NS-Geschichte, dem Israel-Gaza-Krieg und Fragen des internationalen Völkerrechts.
Eine Aufzeichnung des SWR Demokratieforum Hambacher Schloss: "Tabus in unserer Gesellschaft – zwischen Moral, Macht und Medien" sehen Sie ab Freitag, 20.6, 19 Uhr in der ARD Mediathek und im Fernsehprogramm des SWR am Samstag, 21. Juni um 00:15 Uhr sowie Sonntag, 22. Juni, um 8:20 Uhr. Das Gespräch läuft auch in SWR Aktuell Radio, auf HR Info und ist als Podcast ab dem 24.6. in der ARD Audiothek verfügbar.