
Nordrhein-Westfalen "Unschuldiger" Kardinal? Warum das Woelki-Verfahren eingestellt wurde
Hat Kardinal Woelki im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen in der Kirche gelogen? Die Ermittlungen dazu sind eingestellt. Doch Westpol-Recherchen zeigen: Die Staatsanwaltschaft hat viele Belege dafür, dass Woelki tatsächlich die Unwahrheit gesagt hat.
Michael Rind sitzt in einem Cafe mit Blick auf die Kölner Agneskirche. Vor sich ein Dokument mit dem Briefkopf der Kölner Staatsanwaltschaft. 16 Seiten, die er bekam, weil er vor zweieinhalb Jahren den Kardinal angezeigt hatte. Damals bekam er Unterlagen, die darauf hinwiesen, dass Woelki in einem Prozess vor dem Kölner Landgericht unter Eid gelogen haben soll.

Michael Rind, Anzeigenerstatter gegen Kardinal Woelki
Zweieinhalb Jahre musste Michael Rind danach warten. Als er dann Anfang Mai von der Einstellung erfuhr, sei das "eine Mischung aus Enttäuschung und auch ein bisschen Bestürzung gewesen", sagt er im Westpol-Interview. "Als juristischer Laie hatte ich die Anzeige erstattet, weil mir schon eine Faktenlage vorlag , die nur zum Ergebnis führen konnte, dass es hier zur Anklage und Verurteilung kommt."
Staatsanwaltschaft spricht von "Schutzbehauptung" des Kardinals
Doch auf die Enttäuschung folgt Erstaunen. Denn Rind findet im Briefkasten das Begründungsschreiben der Kölner Staatsanwaltschaft. Ausführlich nimmt der zuständige Oberstaatsanwalt Stellung, beschreibt etliche Einzelheiten zu dem, was die Ermittler untersuchten. Michael Rind liest dort, dass Kardinal Woelki "unwahr gesprochen und Schutzbehauptungen aufgestellt" haben soll. Für Rind lauter Beweise für "die schon lange verloren gegangene Authentizität" des Kölner Kirchenoberhauptes.
Das Erzbistum betont dagegen auf Westpol-Anfrage, bei den Feststellungen handele es sich nur um eine Auswertung von Indizien, "die die Staatsanwaltschaft meint ermittelt zu haben". Eine endgültige Klärung des Sachverhalts sei nicht vorgenommen worden. Die Pressemitteilung des Erzbistums am Tag der Verfahrenseinstellung im Mai lautete entsprechend. Das Verfahren sei eingestellt: "Kardinal Woelki ist unschuldig und hat nicht gelogen."
Woelki akzeptiert Geldauflage von 26.000 Euro
Allerdings wurde das Verfahren nur eingestellt, weil Kardinal Woelki als Auflage 26.000 Euro zahlte. Die Staatsanwaltschaft hatte das Ergebnis der Ermittlungen beim zuständigen Landgericht eingereicht. Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass Woelki im Falle einer Anklage sehr wahrscheinlich verurteilt werden würde.
Nicht wegen Meineids, weil die Staatsanwaltschaft keine Absicht nachweisen konnte. Aber wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung eines fahrlässigen Falscheids in einer Gerichtsverhandlung, in der es darum ging, was Woelki über die Missbrauchsvorwürfe gegen zwei Priester wusste. Die Prognose: Bei einer Verurteilung hätte Woelki eben jene 26.000 Euro zahlen müssen. Da Woelki vorab zahlte, ersparte das Gericht ihm und sich das Verfahren.
Pressemitteilung des Bistums "manipulativ"
Auf diese Weise, erklärt der Jura-Professor Holm Putzke, bleibe es bei der Unschuldsvermutung für Woelki. Aber die Pressemitteilung des Erzbistums kritisiert er als manipulativ, sie verschleiere den tatsächlichen Sachverhalt: "Denn die Staatsanwalt, die hat ja sehr klar angegeben, dass die Vorwürfe belegt seien." Die Aussage Woelkis, gewisse Unterlagen nicht gekannt zu haben, nennt die Staatsanwaltschaft eine "Schutzbehauptung".

Prof. Holm Putzke, Strafrechtler Universität Passau
In einem anderen Punkt kritisiert Putzke die Staatsanwaltschaft selbst, denn die nenne als Entlastung für Woelki, dass er sich durch eine "führende Presserechtskanzlei" habe vertreten lassen. Es sei Aufgabe der Anwälte gewesen, zu prüfen, dass Woelki bei den eidesstattlichen Versicherungen keine Fehler mache. Die Staatsanwaltschaft schreibt, "die Verantwortung dafür, dass die Erklärung der Wahrheit entspricht", trage "zu einem erheblichen Teil der Anwalt."
Strafrechtler Putzke findet diese Begründung fragwürdig. "Die Staatsanwaltschaft hat hier eine Art Persilschein ausgestellt für alle, die irgendwann einmal falsche Aussagen machen." Die Verantwortung wechsele dann auf die Anwälte, sagt Putzke dem WDR. Er ist besorgt, dass so die Strafnorm ausgehöhlt werde, so "dass am Ende gar nichts mehr von einer Strafbarkeit übrig bleibt."
60.000 Unterschriften für die Absetzung Woelkis
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erwidert auf Westpol-Anfrage: "Daraus nun Verallgemeinerungen für die strafrechtliche Bewertung anderer, künftiger Verfahren abzuleiten hielte ich für nicht sachdienlich."

Wolfgang Rothe, Pfarrer und Kirchenrechtler aus München
Auch der Münchner Priester Wolfgang Rothe hatte vor drei Jahren gegen Kardinal Woelki Anzeige erstattet. Auch er bekam nun Post von der Staatsanwaltschaft. Für ihn besonders interessant: Die Beschuldigungen der Staatsanwaltschaft könnten auch im kirchenrechtlich relevant sein. Das sei aus seiner Sicht der Fall: "Kardinal Woelki hat in Fällen von sexuellem Missbrauch seiner dienstlichen Sorgfaltspflicht nicht Genüge getan. Das stellt einen schweren Verstoß gegen kirchliches Recht dar." Rothe startete eine Petition. Ein Aufruf an den Papst, Woelki abzusetzen. 60 000 Menschen haben bisher unterschrieben.
"Hätte mir gewünscht, man hätte Anklage erhoben"
Michael Rind in Köln ist froh über die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft. Aber er hätte sich eine Anklage gewünscht: "Gerade im Nachgang des Geschehens, wenn ich sehe wie daraus ein Schuh gestrickt wird, dann hätte ich mir schon gewünscht, man hätte die Anklage erhoben." Denn dann, da beruft sich Michael Rind auf das Schreiben der Staatsanwaltschaft, wäre es wahrscheinlich zu einer Verurteilung gekommen.
Über dieses Thema berichtet die Sendung Westpol im WDR-Fernsehen am 15.06.2025 um 19:30 Uhr.
Unsere Quellen:
- eigene Recherchen der Autorin und des Autors
- Schreiben der Staatsanwaltschaft Köln an Anzeigenerstatter
- Antworten des Erzbistums Köln und des Staatsanwaltschaft Köln