Issa Al H. mit gesenktem Kopf im Prozess

Nordrhein-Westfalen Messerangreifer von Solingen: Wer ist Issa al H.?

Stand: 17.06.2025 06:00 Uhr

Issa al H. hat gestanden, den Messeranschlag von Solingen begangen zu haben. Der laufende Prozess gibt Hinweise zu seiner Person.

Der Prozess um den Anschlag auf dem Solinger Stadtfest im August 2024 gehe in seiner Bedeutung über die bloße Aufklärung der Tat hinaus, hat die Verteidigung des geständigen Täters zum Prozessauftakt gesagt. Denn: Alle in Deutschland lebenden Menschen hätten einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer die Gegner der freien Welt seien.

Wer also ist Issa al H., der 27-jährige syrische Flüchtling, der bereits zugegeben hat, auf dem Fronhof in Solingen drei Menschen erstochen und zehn weitere verletzt zu haben? Die Ausführungen eines Sachverständigen im Prozess geben Aufschluss über den Hintergrund und die Persönlichkeit des Angeklagten - sofern die Angaben von Issa al H. stimmen. Sie werfen aber auch Fragen auf.

Kindheit am Euphrat verbracht

Demnach sei Issa al H. 1998 als sechstes von acht Kindern sunnitischer Eltern in Syrien geboren und in einer ländlichen Gegend nahe des Euphrat aufgewachsen. Offenbar habe al H. in den Gesprächen kaum Angaben zu seiner Kindheit machen können.
Begründet habe er dies zum einen damit, dass seine Erinnerungen von den Erlebnissen im syrischen Bürgerkrieg überlagert seien; zum anderen habe er erklärt, die syrische Gesellschaft sei weniger individualisiert als die deutsche, weshalb persönliche Erinnerungen eine weniger große Rolle spielen würden.

Fluchtversuch und Festnahme durch IS

Ab 2012 sei die Familie immer wieder Luftangriffen ausgesetzt gewesen, wobei eine Schwester verletzt worden sei. Er und seine Brüder hätten in einer Erdölförderstelle den Unterhalt der Familie verdienen müssen. Zur Schule sei er nicht oft gegangen, sondern habe lieber Fußball gespielt.

2013 habe er versucht, vor dem IS zu fliehen, und sei dabei von der Terrororganisation festgenommen und mit einem dicken Stab geschlagen worden. Dieselbe Organisation, in deren Namen er später die Tat begangen haben soll. Schließlich sei aber die Flucht nach Afrin und weiter in die Türkei gelungen.

Deutschland als "bestes Land" beschrieben

Die Eltern hätten bei der verletzten Schwester bleiben müssen. Als die Türkei 2022 damit begann, syrische Flüchtlinge abzuschieben, habe er für 6.800 Dollar einen Schlepper bezahlt und sei in einer schwierigen Flucht über Bulgarien und Ungarn bis nach Deutschland gelangt.

Issa al H. wird in den Gerichtssaal geführt

Issa al H. wird in den Gerichtssaal geführt

In Deutschland sei er schließlich in Solingen gelandet. Zuletzt habe er schwarz für 55 Euro pro Nacht in einer Dönerbude gearbeitet, weil er keine Arbeitserlaubnis gehabt habe. Er habe, und hier beginnen die Widersprüche, Deutschland als "bestes Land" beschrieben, weil man hier sein Leben leben könne, wie man es wolle. Außerdem habe er hier lernen, arbeiten und heiraten wollen sowie einen Sprachkurs machen und einen eigenen Haushalt gründen.

Widersprüche in den Aussagen

Noch widersprüchlicher wirkt vor dem Hintergrund der Tat, wie er sich und seine Persönlichkeit dargestellt haben soll. Er sei ein empfindsamer, gefühlvoller Mensch, der oftmals bei Liedern und Filmszenen weinen müsse, habe er den Gutachter wissen lassen.

Von Opfern bei Kämpfen nicht emotional berührt

Außer - und vielleicht liegt darin ein Teil der Erklärung - wenn er mit Kampfhandlungen in Kontakt geriet. So habe er 2019, als er noch einmal nach Syrien zurückgekehrt sei, um seine Eltern zu besuchen, Explosionen miterlebt und anschließend Leichen geborgen. Das habe ihn emotional nicht angefasst. Denn wenn Erwachsene im Rahmen von Kämpfen umkämen, sei das eben etwas Anderes.
Dieser Punkt scheint entscheidend zu sein. Denn im Vorfeld der Tat soll sich al H. über Social-Media nicht nur mit radikalen IS-Inhalten sondern auch intensiv mit dem Krieg im Gaza-Streifen beschäftigt haben.

Rache an "jüdischem Massaker"

In Bekennervideos vor der Tat, die er an den IS geschickt haben soll, sprach er von Rache für das "jüdische Massaker" an den muslimischen Angehörigen in Palästina, das von den "Kreuzfahrern" unterstützt werde. Stand für ihn die Tat also nicht nur im Kontext des "Heiligen Krieges", sondern auch der realen Kämpfe in Nahost?

Später soll er angegeben haben, dass er sich zunächst an die Tat gar nicht habe erinnern können, er währenddessen aber eine Wahnvorstellung gehabt habe, in der er einen israelischen Soldaten und palästinensische Kinder gesehen habe.

Eine Affekt-Handlung unter Wahnvorstellungen? Immerhin hatte al H. nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft in den Tagen vor der Tat mehrfach Kontakt mit dem IS, der ihn anleitete. Er kundschaftete den Tatort mehrfach aus und kündigte die Tat in seinen Bekennervideos an. Unter anderem bat er seine Eltern um Verzeihung.

Überzeugung oder Indoktrinierung?

Grundsätzlich scheint al H. sich nun auf diese Darstellung zurückzuziehen. Er sei vom IS religiös indoktriniert worden, seine Chatpartner hätten ihm das Paradies versprochen. Er sei der Meinung, er verdiene eine lebenslange Freiheitsstrafe.

"Die große Frage nach dem Warum", wie es der Vorsitzende Richter ausdrückte, bleibt. In den Worten des Verteidigers: "Nur eine Person kann diese Frage beantworten." Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob der weitere Prozessverlauf eine Antwort darauf liefern kann. Heute findet vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der vierte Verhandlungstag statt.

Unsere Quellen:

  • Aussagen und Verhandlung im Prozess
  • Generalbundesanwalt
  • Oberlandesgericht Düsseldorf
  • Staatsanwaltschaft Düsseldorf
  • Reporter vor Ort im Gericht