Ein Mann trägt eine Kippa, im Hintergrund leuchtet ein Chanukka-Leuchter.

Niedersachsen Zahl antisemitischer Vorfälle in Niedersachsen auf Höchststand

Stand: 16.06.2025 18:13 Uhr

Ein Brandanschlag, körperliche Angriffe, Beleidigungen und Bedrohungen - Jüdinnen und Juden sehen sich in Niedersachsen nie da gewesenen Anfeindungen ausgesetzt.

Die Zahl antisemitischer Vorfälle lag laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Niedersachsen im vergangenen Jahr bei 650 gemeldeten Fällen (2023: 349). Damit ist die Zahl so hoch wie noch nie seit der ersten Erfassung im Jahr 2021. RIAS geht zudem von einer hohen Dunkelziffer aus, weil sich viele Betroffene aus Angst oder mangelndem Vertrauen nicht an die Polizei melden würden. Insgesamt sahen sich 215 Personen direkt mit Antisemitismus konfrontiert. Bundesweit dokumentierte RIAS im vergangenen Jahr 8.627 Vorfälle - ein Anstieg um fast 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Körperliche Gewalt gegen Juden nimmt zu

Dreimal kam es dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr zu extremer Gewalt. Dazu zählt auch ein Brandanschlag auf die Synagoge in Oldenburg im April. Ein 28-Jähriger hatte einen Brandsatz gegen die Tür der Synagoge geworfen. Das Feuer wurde entdeckt und gelöscht. Der Mann wurde vom Landgericht Oldenburg am Montag in eine Psychiatrie eingewiesen. Ebenfalls in Oldenburg wurde ein Mädchen auf ihrem Schulweg von zwei jungen Männern festgehalten und als "dreckiger Jude" beschimpft. In Hannover wurde eine Frau auf der Straße von einer Person angegriffen. Als ihr jemand helfen wollte, wurde der Mann selbst beleidigt und bedroht. Als er in seinen Pkw flüchtete, schlugen die Angreifer auf den Wagen ein.

Tatorte sind vor allem die Straße und das Internet

Am häufigsten kam es laut RIAS zu israelbezogenem Antisemitismus. Der ist nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der militärischen Reaktion Israels im Gaza-Streifen deutlich angestiegen. Es folgten Post-Schoa-Antisemitismus, der darauf abzielt, die Erinnerung an die Schoa - wie der Holocaust auch genannt wird - zu beenden. Darüber hinaus wurden Jüdinnen und Juden als anders, fremd oder nicht zugehörig klassifiziert. Am meisten sahen sich die Betroffenen den Angaben zufolge auf der Straße, im Internet und in Bildungseinrichtungen wie Schule oder Universität mit Antisemitismus konfrontiert.

"Antisemitismus für Jüdinnen und Juden keine abstrakte Bedrohung"

Die Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Niedersachsen, Katarzyna Miszkiel-Deppe, spricht von einem alarmierenden Signal. "Antisemitismus war für Jüdinnen und Juden in 2024 keine abstrakte Bedrohung, sondern brutale Realität." Dies dürfe weder verharmlost noch als Randerscheinung abgetan werden.

Landesbeauftragter fordert besseren Schutz jüdischen Lebens

"Strafverfolgung, Prävention und politische Konsequenz müssen endlich Priorität haben", mahnt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, Michael Grünberg, an. Sonst würden sich die Menschen noch mehr aus Angst aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Der Niedersächsische Landesbeauftragte gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens, Gerhard Wegner, fordert einen entschlosseneren Kampf gegen Judenhass - auf allen Ebenen.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Hallo Niedersachsen | 16.06.2025 | 19:30 Uhr