Leere Strandkörbe stehen am Ostseestrand von Prerow. (Themenbild)

Mecklenburg-Vorpommern Rostocker Forscher fragen: Was bedeutet Ihnen die Ostsee?

Stand: 17.06.2025 06:00 Uhr

Bislang befassen sich die Rostocker Wissenschaftler mit Fischbeständen in der Ostsee, warum es beispielsweise Dorsch und Hering nicht gut geht. Doch laut Forschern ist die Ostsee mehr als nur ein Wirtschaftsfaktor.

Von Franziska Drewes

Ein Bürokomplex im Fischereihafen Rostock. Harry Strehlow schaut aus seinem Fenster direkt auf die Warnow. Der Wissenschaftler arbeitet seit 20 Jahren beim Rostocker Thünen-Institut für Ostseefischerei, er leitet die Arbeitsgruppe "Marine Freizeitfischerei". Gleichzeitig ist er aktiv in der Arbeitsgruppe "Fischerei und Gesellschaft". Gerade hat Harry Strehlow 190.000 Postkarten verschicken lassen. Darauf ist ein Steg zu sehen, der an den Strand führt und zu lesen: "Was bedeutet Ihnen die Ostsee?" Die Postkarte soll helfen, auf die Umfrage aufmerksam zu machen, die gerade gestartet ist.

Die Ostsee sorgt für Emotionen

Die Umfrage möchte alle Küstenbewohner ansprechen, unabhängig davon, ob sie Berufsfischer oder Angler sind. Die Befragung findet im Rahmen des Verbundforschungsprojektes "marEEchange" statt. Finanzieller Förderer ist das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt. "Hier interessieren uns insbesondere die Mensch-Natur-Beziehungen. Wie nutzen die Menschen die Ostsee, was ist ihnen wichtig? Beispielsweise psychisches Wohlbefinden oder kulturelle Identität. Das alles ist mit der Lebensqualität von Menschen verbunden, die an der Ostsee leben und spazieren gehen." Harry Strehlow erzählt weiter, dass die Zivilbevölkerung die größte Nutzergruppe der Ostsee sei, allerdings bislang nicht als wichtiger Part der Forschung gesehen wurde.

Ostsee mehr als nur Wirtschaftsfaktor

Die Umfrage wechselt die Perspektive. Die Wissenschaftler erhoffen sich, dass sich möglichst viele Mecklenburger und Vorpommern etwa 25 Minuten Zeit nehmen und die Fragen online beantworten. "Wir wissen, der Ostsee geht es nicht gut. Die Fischbestände sind in einem sehr schlechten Zustand. Wir müssen dennoch dafür sorgen, dass die Ostsee erhalten und nutzbar bleibt. Und deshalb wollen wir herausfinden, warum kommen die Menschen an die Ostsee? Und wir als Forscher sehen unsere Aufgabe darin, auch dieses Stimmungsbild der Gesellschaft einzufangen." Der Rostocker Wissenschaftler ist sehr gespannt auf die Ergebnisse.

Wissenschaftler werben an Stränden für Umfrage

Harry Strehlow und sein Team wollen jetzt in der Urlaubszeit auch Touristen und Tourismusverbände ansprechen, sie werden Strände ablaufen, in verschiedene Seebäder gehen, um auch dort für die Befragung zu werben. Angesprochen ist die gesamte Ostseeküste, also auch die in Schleswig-Holstein. Die Bevölkerungsumfrage läuft bis Mitte August. Bislang wurden rund 1.200 Fragebögen vollständig ausgefüllt.

Auch Angler werden befragt

Das Team um Harry Strehlow vom Rostocker Thünen-Institut für Ostseefischerei hat eine zweite Umfrage laufen. Sie steht unter dem Motto "Angeln mit Weitblick - Deine Sicht auf die Ostsee" und richtet sich ausschließlich an Angler - aber mit ähnlichen Fragen. "Man denkt natürlich sofort, der Angler will nur Fische fangen. Aber tatsächlich gibt es auch andere Gründe, die Angler sehr wertschätzen. Hier ist auch die kulturelle Identität und Ortsverbundenheit gefragt, aber auch die Ruhe in der Natur." Die Wissenschaftler wollen hier bis Mitte Juli erfassen, warum Angler noch an die Ostsee fahren.

Welche emotionale Bindung haben Angler zur Ostsee?

Fakt ist, die Fischbestände werden sich in naher Zukunft nicht so erholen wie erhofft, betont Harry Strehlow. Dennoch kommen jährlich rund 220.000 Menschen zum Angeln an die Ostsee und lassen über 100 Millionen Euro in Mecklenburg-Vorpommern. Auch das haben die Rostocker Wissenschaftler schon herausgefunden. Die Umfrage unter Anglern wird gleichzeitig auch in Dänemark, Polen und Schweden durchgeführt. Das Forscherteam möchte auch herausfinden, ob es Unterschiede zwischen den Nationen gibt, warum und wie sie die Ostsee nutzen. "Das ist für uns komplettes Neuland. Ich könnte mir vorstellen, dass die Skandinavier eine andere Fangorientierung und damit auch eine andere Bewertung der Mensch-Natur-Beziehungen haben. Aber das ist nur ein Bauchgefühl. In der Vergangenheit haben wir herausgefunden, dass die skandinavischen Angler auch gerne mal Fische zurücksetzen und in Polen wurde gar kein Fisch zurückgesetzt. Da wurde tatsächlich alles mitgenommen und konsumiert." Gleichzeitig fragen die Wissenschaftler ab, wie Angler die aktuellen Fangbeschränkungen finden und ob sie neue gesetzliche EU-Vorgaben kennen. Ab dem 1. Januar 2026 müssen Meeresangler in Europa ihre Fänge täglich elektronisch dokumentieren.

Meeresschutz ist gemeinsame Aufgabe

Projektleiter Harry Strehlow geht davon aus, dass erste Umfrageergebnisse in diesem Herbst vorliegen werden. Die möchte er dann politischen Entscheidungsträgern an die Hand geben. "Wir wollen ihnen spiegeln, warum es so wichtig ist, das Ökosystem Ostsee wiederherzustellen. Es gibt nicht nur wirtschaftliche Gründe. Doch dieser Blick fehlt bislang." Die Wissenschaftler wollen auch Vorträge halten, um möglichst vielen Menschen die Ergebnisse präsentieren zu können. Harry Strehlow wünscht sich, dass dabei die Ostsee stärker ins Bewusstsein aller rückt und sich bestenfalls noch mehr Menschen aktiv einbringen, damit es dem Meer bald wieder besser geht.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 17.06.2025 | 12:00 Uhr