
Hessen Mehr Zwangsversteigerungen in Hessen: Am eigenen Baukredit verhoben
In Hessen steigt die Zahl der Zwangsversteigerungen von Wohnhäusern. Ein Grund dürften die ehemals günstigen und dann deutlich gestiegenen Baukredite sein. Manchmal liegt der Auslöser in der eigenen Familie.
Semi Rekik wohnt mit seiner Familie in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Frankfurt. Der 42-Jährige hängt an der Immobilie, er ist hier groß geworden. Ursprünglich hat die Wohnung seiner Mutter gehört, laut Testament hat sie sie ihm und seinem Bruder vermacht. Aber dieses Testament haben nach ihrem Tod weitere Verwandte angefochten und auf die Wohnung ebenfalls Anspruch erhoben.
Im Zuge dieser Erbstreitigkeiten drohte die Immobilie in den vergangenen Jahren mehrmals zwangsversteigert zu werden. Immer wieder habe er erreichen können, dass der Termin in letzter Sekunde aufgehoben worden sei, erzählt Rekik: "Trotzdem hat mich das ganze Thema richtig krank gemacht. Wir kämpfen um diese Wohnung, seit meine Mutter 2013 gestorben ist."
Angst, die eigenen vier Wände zu verlieren
Für seine Anwältin hat Rekik bereits mehrere tausend Euro ausgegeben. Trotzdem treibt ihn weiter die Sorge um, dass er schlimmstenfalls kurzfristig die Wohnung mit seiner Frau und seinen drei Kindern räumen muss. "Dabei gehen die Kleinen hier zur Schule und in den Kindergarten, unser Leben spielt sich hier ab", erzählt der 42-Jährige.
Die Zahl der Zwangsversteigerungen ist in Hessen zuletzt gestiegen. Das zeigen Zahlen des hessischen Justizministeriums. Das Ministerium registrierte 2022 noch 1.685 neue Verfahren. Zwei Jahre später waren es schon 2.084 Verfahren und damit knapp 400 mehr.
Wenn die Parteien zutiefst verkracht sind
Beim Amtsgericht Frankfurt betreut die Rechtspflegerin Susanne Kassold solche Zwangsversteigerungen. "Wenn sich Erben streiten, können sich die Verfahren über Jahre hinziehen", berichtet Kassold: "Manche sind sich spinnefeind."
Neben Erbstreitereien gehe es noch häufiger um offene Schulden, sagt Kassold: "Den Antrag auf eine Versteigerung stellt dann zum Beispiel eine Bank als Gläubigerin oder das Finanzamt, wenn noch Steuerschulden ausstehen." Es gebe außerdem Fälle, da beantragten Wohnungseigentümergemeinschaften über ihre Hausverwaltung die Zwangsversteigerung einer Immobilie, weil Hausgeld nicht gezahlt werde.
Aus heiterem Himmel kommt so eine Zwangsversteigerung aus Sicht der Rechtspflegerin kaum. In der Regel seien die Betroffenen vorgewarnt und mehrmals abgemahnt worden.
Baukredite werden vielen zum Verhängnis
Laut dem Immobilienverband Haus und Grund Hessen scheiterten Immobilienbesitzer zuletzt vermehrt auch an Baukrediten. Betrachtet man Kredite mit einer Laufzeit von zehn Jahren, werden dafür nach Angaben der FMH-Finanzberatung aktuell im Schnitt 3,6 Prozent Zinsen fällig - in der Zeit zwischen 2019 und 2021 lag der Zinssatz unter 1 Prozent.
Von diesen sehr günstigen Konditionen hätten sich auch manche Geringverdiener hinreißen lassen, meint der Geschäftsführer von Haus und Grund Hessen, Younes Frank Ehrhardt: "Viele haben in dieser Zeit Immobilien erworben, waren aber teilweise leider auf Kante genäht. Da war absehbar, dass es durchaus Probleme geben könnte."
Diesen Kredit konnten manche nicht zurückzahlen, wie Ehrhardt berichtet. Andere hätten Schwierigkeiten bekommen, als nach Ablauf der Zinsbindung die Anschlussfinanzierung teurer ausgefallen sei.
Schnäppchenjäger dürften enttäuscht sein
Wenn dann eine Immobilie auch noch alt und unsaniert gewesen sei, hätten die Betroffenen sie nicht einfach weiterverkaufen können, sagt der Verbandssprecher: "Dadurch sind etliche in den Strudel der Zwangsversteigerung hineingeraten."
Andere wiederum sehen hier ihre Chance, erzählt die Rechtspflegerin Kassold. Sie leitet die Versteigerungen. Teilweise kämen für eine einzige in einem Sitzungssaal bis zu 60 Bieter zusammen. Manchmal gehe es bei den Geboten Schlag auf Schlag, berichtet sie: "Da habe ich auch schon mitbekommen, dass die Ehefrau eines Bieters gesagt hat: Du kannst doch nicht noch höher gehen."
Schnäppchen sucht man hier laut Kassold nämlich vergeblich. Die habe es bei Zwangsversteigerungen noch nie gegeben. Oftmals erlebt die Rechtspflegerin auch, dass anberaumte Termine kurzfristig abgesagt werden.
So war es letztlich auch bei Semi Rekik und seiner Frankfurter Drei-Zimmer-Wohnung. Stattdessen sollen die Erben im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung Geld bekommen.