Wildnis in Brandenburg (Quelle: Tilo Geisel)

Brandenburg Warum Truppenübungsplatze in Brandenburg für die Wildnisentwicklung wichtig sind

Stand: 15.06.2025 08:25 Uhr

Frühere Truppenübungsplätze wie in Lieberose haben sich in den vergangenen Jahren zu Oasen für seltene Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Wie wichtig Wildnis für Mensch und Fauna ist, erklärt Christoph Schenk von der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg.

rbb: Herr Schenck, Sie verwalten Förderanträge und Projekte bei der bei der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg - aber verbringen auch Tage und Nächte in Brandenburgs Wildnis. Was reizt Sie da?
 
Christoph Schenk: Das mache ich, wann immer der Stundenplan es zulässt. Es ist eine unglaublich magische Erfahrung: Es gab mal eine Nacht, da ist der Vollmond aufgegangen und wir haben Wölfe heulen gehört. Das war wie eine Erfahrung aus fernen Welten oder, man könnte auch fast denken, aus vergangenen Zeiten. Dass man sowas in so einem dicht besiedelten Land wie Deutschland erleben kann - Natur ohne uns, für uns -, das ist unglaublich beeindruckend.

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Welche Tiere und Pflanzen erleben Sie da noch?
 
Da gibt es eine ganze Reihe. Einige finden wir auch auf bewirtschafteten Flächen. Aber wir finden dort auch Seeadler, wir haben Rotwild, wir haben Fischotter. Es gibt interessante Vogelarten wie den Ziegenmelker - das ist ein nachtaktiver Vogel, der dort auch brütet. Es ist schon unglaublich reichhaltig. Diese Flächen mit besonders trockenen Gebieten, fast wüstenartig, aber dann auch Moor - es ist wirklich ein Paradies der Natur.

Was unterscheidet Wildnis von Kulturlandschaften oder Naturschutzgebieten?
 
Es gibt einen fundamentalen Unterschied: Und zwar ist die Wildnis der Wille der Landschaft. Es ist nicht der Mensch, der dort regelnd und ordnend eingreift, sondern es ist die natürliche Entwicklung der Natur. Etwas, was wir gerade in Mitteleuropa völlig verlernt haben, was wir auch gar nicht mehr im Blick haben, was wir uns kaum noch vorstellen können. Und das kann man tatsächlich dann auf diesen Flächen erleben. Für das geschulte Auge sind das tatsächlich auch die Urwälder von morgen. Das bietet für uns einen Raum der Referenzflächen, dass wir wissen, wie Natur zum Beispiel mit Windwürfen umgeht, mit Feuer umgeht, mit Käfer-Kalamitäten [Anm. d. Red.: großflächiger Schaden im Wald, zum Beispiel durch Borkenkäfer] umgeht. Aber es gibt uns auch eine gewisse Demut zu sehen, was die Natur macht, wenn wir nicht der große Regulator sind.

Die Wildnis ist der Wille der Landschaft. Es ist nicht der Mensch, der dort regelnd und ordnend eingreift, sondern es ist die natürliche Entwicklung der Natur.

Sie kommen dafür aus Frankfurt (Main), wo Sie Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft (ZGF) sind. Warum Brandenburg - und nicht Hessen?
 
Wir sind in einem sehr dicht besiedelten Land. Es gibt nicht so viele freie Flächen für die Natur. Brandenburg hat ein außerordentliches Potenzial - vor allem durch die ehemaligen Truppenübungsplätze, wo man es nicht erwartet hätte. Das sind geschundene Landschaften, wo das Schlimmste getan wurde, was man Landschaften antun kann. Es wurden Bomben abgeworfen, Panzer haben geübt, Schießbahnen gibt es. Aber das war ein relativ geringer Teil auf diesen Flächen und der Rest ist eben unberührte Natur über einen langen Zeitraum geblieben. Und was wir auf diesen Flächen nicht haben, ist eine intensive Jagd. Wir haben keinen intensiven Pestizid- und Düngereinsatz. Wir haben alles das nicht, was wir in der Kulturlandschaft haben, und was uns vor allem in der jüngsten Zeit einen unglaublichen Artenschwund auch in Deutschland beschert. Und deswegen haben diese Truppenübungsplätze eine gute Startposition für eine Wildnisentwicklung in Deutschland.

Und da haben Sie sich vor 25 Jahren eben und im Folgenden tatsächlich durchgesetzt, etwa gegen Gewerbegebiete. War das schwer?
 
Ja, denn auf jedem Quadratmeter in Deutschland gibt es massive Begehrlichkeiten und von daher ist es sehr schwierig und Wildnis braucht große Flächen. Mit wenigen Quadratmetern kann man da nicht anfangen, sondern wir brauchen Tausende von Hektar. Das ist natürlich sehr schwierig, auch heute noch. Es gab sehr viele Vorstellungen, was man da machen könnte: von Wildwest-Themenpark bis Turbinen-Testgelände, natürlich intensive Forst- und Landwirtschaft, zum Teil auch Bejagung.

Archivbild: Großer Abendsegler (Nyctalus Abendsegler) Jungtier in menschlicher Hand, Brandenburg am 27.07.2023. (Quelle: picture alliance/imageBROKER/Dieter Mahlke)
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Es gab und gibt große Flächenkonkurrenz in Deutschland. Und da muss man auch ein bisschen relativieren, denn wir haben eigentlich den Plan in Deutschland, zwei Prozent Wildnisflächen zu schaffen. Und wenn ich sage 'wir', dann ist es tatsächlich wir alle, nämlich die Nationen, weil das auch ein Regierungsauftrag ist. Die Regierung hat sich das selber in ein Stammbuch geschrieben. Das hätte eigentlich schon vor fünf Jahren erreicht werden sollen.
 
Wir sind immer noch bei winzigen kleinen 0,6 Prozent. Das ist ein verschwindend kleiner Teil. Aber wir haben weiter Potenzial - auf Übungsplätzen, auf ehemaligen Bergbau-Folge-Landschaften oder in den Auengebieten. Wir können noch einiges dazu packen für dieses wichtige Potenzial Wildnis.

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Michael Castritius für rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch ist auch im Audio-Player nachhörbar.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.06.2025, 10:05 Uhr