Klimaschutzgruppe Neue Generation haben zum Auftakt einer Protest- und Widerstandswoche auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude ein weißes Zelt für das "Parlament der Menschen" aufgestellt. (Quelle: dpa/Soeren Stache)

Berlin Brandenburg Wer die Nachfolger der "Letzten Generation" sind und was sie wollen

Stand: 14.06.2025 14:51 Uhr

Bevölkerungsmassen ansprechen oder lautstark den Konflikt suchen? Der Richtungsstreit hat die "Letzte Generation" aufgespalten. Ziele und Methoden der Nachfolger unterscheiden sich - wenn auch noch nicht besonders offensichtlich. Von Oliver Noffke

Im Dezember stand fest: Die "Letzte Generation" macht nicht weiter wie bisher. Rund drei Jahre zuvor hatte sich die Gruppe von Klima-Aktivist:innen erst gegründet. Die Situation habe sich geändert, begründete die Berliner Klima-Aktivistin Carla Hinrichs die Entscheidung gegenüber "Spiegel": "Als wir anfingen, wäre die Regierung noch in der Lage gewesen, der Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Heute stecken wir mittendrin."

Aufsplittung statt Auflösung

Eine wirkliche Auflösung war das angekündigte Ende allerdings nicht. Vielmehr haben sich mehrere Strömungen innerhalb der Bewegung getrennt: in die "Neue Generation" und das Widerstands-Kollektiv. In einigen Städten sind nach wie vor Gruppen unter dem Namen "Letzte Generation" aktiv. Etwa in München [br.de]. In Berlin und Brandenburg wird hingegen unter den neuen Namen weitergemacht.
 
"Im Grund wurde schon 2023 sichtbar, dass es innerhalb der 'Letzten Generation' einen Richtungsstreit gegeben hat", sagt Vincent August. Er leitet die Forschungsgruppe Ökologische Konflikte an der Berliner Humboldt-Universität. "In erster Linie ging es dabei darum, mit welchen Methoden Ziele umgesetzt werden." Soll es darum gehen, auch Massenunterstützung zu mobilisieren, oder steht direkter Widerstand im Vordergrund der Proteste?

Symbolbild:Eine Person mit orangener Warnweste hält ein Transparent mit der Aufschrift "Klimakatastrophe ist kriminell" in den Händen.(Quelle:picture alliance/dpa/F.Sommer)
Nicht mehr "Letzte Generation", aber weiter aktiv
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Tausende Verfahren, Hunderte Urteile

Die Frage wurde innerhalb der "Letzten Generation" schon lange diskutiert, sagt August. Viele Aktionen seien für einige Teilnehmenden stark belastend gewesen. "Wenn es starken Gegenwind von der Gesellschaft gibt, eine scharfe, auch organisierte Gegeneskalation, stellt sich die Frage: Was ist der richtige Kurs, wenn hohe Erschöpfungskosten gezahlt werden müssen und man gleichzeitig immer weniger erreicht."
 
Zwei Zahlen verdeutlichen das: Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft teilt auf rbb|24-Anfrage mit, dass bis Anfang Juni 5.646 Verfahren im Zusammenhang mit der "Letzten Generation" und ihren Nachfolgern eingeleitet wurden. Mehr als 450 Urteile wurden allein in Berlin gesprochen.
 
Nach der Bundestagswahl 2025 sind die beiden neuen Organisationen erstmals mit Protest- und Störaktionen in Berlin aufmerksam geworden. Seitdem gab es Einladungen zu Diskussionen oder zum Protest-Yoga, aber auch Nacht-und-Nebel-Aktionen auf Berliner Straßen und Störaktionen vor einer Verlagsdruckerei.
 
Aber wie unterscheiden sich "Neue Generation" und "Widerstands-Kollektiv"? Was sind ihre jeweiligen Ziele? Und wie wollen sie diese erreichen?

Aktivisten der sich selbst ernannten "neuen Generation“ blockieren am 02.06.2025 die Zufahrten zur Druckerei des Springer Verlages in Berlin Spandau. Die Polizei konnte dies unterbinden. (Quelle: dpa-Bildfunk/Julius Schreiner)
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Die "Neue Generation"

Die "Neue Generation" will nach eigenen Angaben erreichen, dass die Bevölkerung mehr demokratischen Einfluss erhält, dass Politik sich stärker am Wohl der Menschen orientiert und die Wirtschaft nachhaltiger gestaltet wird. Sie kritisiert, aktuell fehle es der Politik an Menschlichkeit. Ihr Ziele will sie nach eigener Aussage gewaltfrei umsetzen. Das heißt nicht, dass die Gruppe passiv oder still bleibt. Im Gegenteil.
 
Kurz nach der Bundestagswahl trat die Gruppe zum ersten Mal durch Farbaktionen in Erscheinung. Aktivist:innen warfen etwa Farbe auf eine Tesla-Filiale in Berlin-Reinickendorf und den Showroom des Unternehmens in der Mall of Berlin am Leipziger Platz. Seit Anfang Juni haben Mitglieder der Neuen Generation mehrfach versucht, eine Druckerei in Spandau zu blockieren. Sie wollten die Auslieferung von Zeitungen der Axel-Springer-Gruppe verhindern.
 
"Bild hetze Menschen gegeneinander auf und spalte die Gesellschaft", hieß es zur Erklärung in einer Pressemitteilung [neuegeneration.com]. "Die Bild verbreitet rechte Narrative und leugnet die Klimakrise", wird Raphael Thelen darin zitiert, der Teil des Gründungsteams ist und zuvor bei der "Letzten Generation" eine führende Rolle eingenommen hatte. Die Aktion prallte auf heftige Kritik. "Die Presse muss tabu sein für Aktivisten", empörte sich etwa der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Mika Beuster [djv.de].

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"Parlament der Menschen" vor dem Reichstag

Die Aktionen kulminierten in einer Protestwoche vor Pfingsten, während sich der Bundestag in Sitzung befand: das "Parlament der Lobbys", wie die "Neue Generation" ihn nennt. Die Gruppe veröffentlichte ein Manifest, in dem unter anderem zu enge Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft kritisiert werden. In einem Zelt wurde ein "Parlament der Menschen" eingerichtet, in dem Interessierte über Lösungen für aktuelle Probleme diskutieren sollten und das die tatsächliche Gesamtbevölkerung repräsentieren sollte, hieß es. Allerdings waren die Teilnehmenden aus dem Kreis der "Neuen Generation" gelost.
 
"Völlig erwartbar beruht dieses ausgeloste 'Parlament der Menschen' auf keinen großen Massen, sondern einem eher kleinen Kreis", sagt Protestforscher Vincent August. "Da stellt sich schon die Frage, mit wie viel Legitimität sowas am Ende ausgestattet ist." Die Aktion verdeutliche aber die Richtung, die eingeschlagen wird. "Im Vergleich zum 'Widerstands-Kollektiv' möchte die 'Neue Generation' eher massenkompatibler werden."
 
Ein Ziel sei offenbar, eine alternative, repräsentative Institution zu inszenieren, die sich basisdemokratisch organisiere, sagt er. Sie werde dann mit Protest flankiert, um Kritik und Vorschläge öffentlich sichtbar zu machen.

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Das "Widerstands-Kollektiv"

Der zweite Nachfolger der "Letzten Generation" ist das "Widerstands-Kollektiv". Thematisch orientiert es sich offenbar näher an den alten Zielen. Das Verhindern der Klimakatastrophe sowie der Ausbeutung von Natur und Menschen gehört laut eigenen Aussagen dazu, aber auch die Bekämpfung von faschistischen Strömungen, benennt die Gruppe als Ziel.
 
Das "Widerstands-Kollektiv" ist bisher vor allem durch Guerilla-Aktionen aufgefallen. Anfang April wurden aus Dutzenden Tesla-Wagen die Luft aus den Reifen gelassen, oder es wurden eigenmächtig Radwege auf Straßen gepinselt. Unter anderem in Reinickendorf [taz.de].
 
HU-Professor August sagt: "Das 'Widerstands-Kollektiv' trägt seine Absicht bereits im Namen: Die Widerstandsdimension, die auch für die 'Letzte Generation' von zentraler Bedeutung gewesen ist – auch, um sich von Fridays for Future abzugrenzen."
 
Aus diesem Grund müsse sich die Gruppe weniger stark um einen Imagewandel bemühen, als es bei der "Neuen Generation" der Fall sein dürfte. "Das Ziel ist, sichtbar Widerstand mit direkten Aktionen zu leisten. Dass man so nicht die Breite der Bevölkerung mobilisieren kann, ist klar", so August. "Man bespielt sein Ding und überlässt den Rest anderen."

Kurzzeitbeobachtungen

August sagt auch, dass sich noch nicht klar sagen ließe, wie sich beide Gruppen weiterentwickeln werden. Dafür seien sie noch zu wenig sichtbar gewesen. Es gebe Überschneidungen bei den Zielen und Anhängern, die auf beiden Seiten reinschauen und sich orientieren würden.