
Berlin In Kasachstan freigelassene Przewalski-Pferde aus Berlin haben sich schnell an harte Bedingungen angepasst
Vor einem Jahr wurden vier Przewalski-Pferde von Berlin nach Kasachstan gebracht und durften sich eingewöhnen. Sie lernten der Hitze zu trotzen und im Schnee nach Futter zu graben. Jetzt wurden sie freigelassen in die Steppe. Julia Bohner war dabei.
rbb|24: Frau Bohner. Sie waren kürzlich live dabei, als vier vor einem Jahr aus Berlin angereiste Przewalski-Pferde mit weiteren Tieren in der kasachischen Wildnis freigelassen wurden. War das ein emotionales Erlebnis?
Julia Bohner: Das war emotional sehr bewegend. Wir haben ein ganzes Jahr darauf hingearbeitet und hingefiebert – und es war toll zu sehen, dass es wirklich passiert.
Sie haben sich mit um die Przewalski-Pferde gekümmert, die den Berliner Tierpark verlassen haben, um in Kasachstan ausgewildert zu werden. Was genau war Ihre Rolle als Tierärztin?
Als Tierärztin bin ich für die tiermedizinische Betreuung der Pferde vor Ort zuständig. Wenn die Tiere gesundheitliche Probleme haben oder prophylaktische Maßnahmen wie beispielsweise Entwurmungen anstehen, erfolgen diese unter meiner Anleitung. Ich bin auch für praktische Eingriffe wie beispielsweise die Besenderung der Tiere zuständig. Dafür müssen die Tiere ausgewählt und in Narkose gelegt werden. Das mache ich. Wir nutzen solche Gelegenheiten aber auch dafür, die Kollegen vor Ort von der kasachischen Organisation als tiermedizinische Fachkräfte auszubilden.
Wie kann man diese Tiere tiermedizinisch behandeln - sind sie so zahm, dass man sie fangen und halftern kann? Und sollten sie so zutraulich sein: Wie verhalten sie sich dann künftig in der Wildnis, wenn da mal Menschen auftauchen?
Die Tiere sind gar nicht zahm - das ist auch nicht unsere Absicht. Wir versuchen sie in dem Eingewöhnungsjahr in Kasachstan so unabhängig wie möglich zu halten – mit so wenig Menschenkontakt, wie es geht. Sie sollen sich nach ihrer Freilassung fernhalten von Menschen.
Wenn wir an sie rankommen wollen, um sie zu behandeln, müssen wir uns eine gute Strategie überlegen. Die jetzt freigelassenen Tiere hatten für ein Jahr eine sehr große Außenanlage von etwa 50 Hektar. Dort gab es zwei eingezäunte Ringe. Dort konnten wir die Tiere im Krankheitsfall absperren. Doch um sie dort hineinzubekommen, mussten wir einfallsreich sein. Wir haben die Tiere dann mit attraktivem Futter angelockt und ein versteckter Mitarbeiter schloss das Tor. Dann konnten wir mithilfe von Narkosepfeilen einzelne Tiere sedieren und behandeln. Dafür müssen wir aber erst einmal auf eine bestimmte Distanz herankommen. Das geht auf der großen Außenanlage nicht. Dafür sind die Tiere zu clever und zu scheu.
Wie kommt so ein Berliner Stadtpony da jetzt in der Wildnis zurecht?
Ich bin sehr erstaunt, wie schnell und gut sich die Pferde an die harten Bedingungen vor Ort angepasst haben. Die Pferde kamen im Juni 2024 an und hatten erst einmal den extrem heißen Sommer vor sich. Und dann kam auch schon bald ihr erster richtig harter Winter mit Temperaturen von bis zu Minus 30 Grad und heftigsten Schneestürmen. Die Pferde mussten lernen, die dicke Schneedecke freizugraben, um an die Futterpflanzen und Wurzeln ranzukommen. Die Wasserquelle im Gehege fror im November ein und die Tiere müssen über den Schnee ihren Wasserbedarf decken. Die Pferde haben das alles mit sehr wenig Unterstützung sehr gut überstanden.
Wir haben sie mithilfe der Ranger vor Ort intensiv auch per Videoaufnahmen beobachtet. Man konnte man sie den ganzen Tag graben sehen. Das sind ihre natürlichen Instinkte.
Der größte Auswilderungserfolg wäre, wenn man wirklich die großen Huftiere wieder in großen Zahlen zurückbringt
Nach welchen Kriterien wurden die Tiere vorher ausgewählt?
Die Auswahl wird durch das Europäische Erhaltungszuchtprogramm der Przewalski-Pferde getroffen. Die ausgewählten Tiere wurden aus unterschiedlichen Orten erst einmal nach Berlin gebracht, dort gesammelt und aneinander gewöhnt. Nur eines der Pferde, Tessa, war auch ursprünglich aus Berlin.
Bei der Auswahl der Tiere spielen die genetische Widerstandsfähigkeit und das Sozialverhalten eine Rolle. Es gibt dominantere, aggressivere Tiere und schüchterne, rangniedrigere. Man versucht mit der Auswahl, die langfristige Gruppendynamik positiv zu beeinflussen. Dafür braucht man eine gesunde Mischung aus allem.
Außerdem wurde auch das Alter der Tiere berücksichtigt, weil eines der Ziele ist, dass sich die Tiere in der freien Wildbahn vermehren. Die Tiere, die 2024 nach Kasachstan gebracht wurden, waren zwischen 2,5 und 5 Jahren alt. Und weil den Tieren ein so langer Transport bevorstand, waren Pferde, die leicht gestresst sind und eher mit Panik reagieren, weniger geeignet.
Sie haben die Tiere mit Sendern versehen. Was können Sie anhand der Daten ersehen?
Es handelt sich um sehr leichte Sender, die die Pferde möglichst wenig einschränken und die nur reine Bewegungsdaten liefern. Die Besenderung der Tiere ist extrem wichtig, weil die Tiere in ein 40.000 Quadratmeter großes Gebiet entlassen wurden. Das ist eine Fläche so groß wie die Schweiz. Wenn wir da nach sechs nicht besenderten Pferden suchen müssten, würden wir sie sicherlich aus den Augen verlieren. Durch die Sender wissen die Ranger vor Ort immer, wo sie sich befinden. Nur so können wir ihnen folgen und sie schützen.
Würde man den Tieren jetzt auch helfen, wenn sie Verletzungen hätten?
Ja. Das war auch in der noch intensiver betreuten Eingewöhnungsphase so. Wenn wir sahen, dass es ein gesundheitliches Problem gab, konnten wir sofort eingreifen. Kurz vor der Freilassung hat sich eines der Pferde tatsächlich eine Verletzung zugezogen. Das war ausgerechnet zu der Zeit, in der in Kasachstan sehr viele Insekten unterwegs sind. Da besteht die Gefahr, dass Wunden sich durch Fliegenmaden sehr verschlimmern. Da haben wir eingegriffen, das Tier in Narkose gelegt und die Wunde versorgt.
Jetzt ist das natürlich etwas schwieriger. Bei schweren gesundheitlichen Problemen würden wir aber versuchen, den Pferden zu helfen. Gerade jetzt am Anfang, wo die Population mit sechs Pferden ja noch sehr klein ist.
Przewalski-Pferde galten ja eigentlich schon als ausgestorben – auch dort, wo sie jetzt wieder angesiedelt werden. Das heißt, die Bedingungen waren wohl nicht optimal für die Pferde. Sind sie jetzt besser?
Die Bedingungen sind dort heute wesentlich besser. Die Pferde wurden in einem staatlichen Naturschutzgebiet, der Altyn-Dala-Steppe, freigelassen. Dieses Gebiet wird von Rangern der Regierung und der lokalen Organisation überwacht. Es liegt weit entfernt von jedweder Zivilisation. Früher war diese Steppe auch besiedelt, es gab Landwirtschaft und dadurch viele Nutztiere. Unter anderem auch Pferde – und so kam es zu Konflikten zwischen den wilden Przewalski-Pferden und den lokalen Pferden. Das war ein Grund, warum die lokalen Farmer die Pferde bejagt haben.
Eignen sich Pferde als Tiere besonders gut zum Auswildern?
Die Frage hat sich hier so nicht gestellt. Es ging darum, was dem Ökosystem in der Steppe fehlt. Grasland braucht Weidetiere – und deswegen wurden die Przewalski-Pferde ausgewählt. Außer ihnen werden noch Kulane, das sind asiatische Halbesel, dort angesiedelt. Zudem gibt es schon erfolgreich angesiedelte Saiga-Antilopen. Hier lag die Population 2003 bei 13.000 Tieren – jetzt hat sie sich auf mehr als zwei Millionen Tiere erhöht.

Was wäre der größte Erfolg dieser Auswilderungs-Bemühungen?
Der größte Auswilderungserfolg wäre, wenn man wirklich die großen Huftiere wieder in großen Zahlen zurückbrächte. Sie sind für die Steppe so wichtig, weil sie im Winter durch das Graben die Futterpflanzen freilegen. So haben auch kleinere Tiere Zugang. Dann graben sie im Sommer während der Dürreperioden Wasser aus dem Boden frei – auch da profitieren kleinere Spezies. Mit ihrem Kot verteilen die großen Huftiere außerdem beim Wandern durch die Steppe Samen von seltenen Pflanzenarten. So stellen sie das Grasland der Steppe wieder her.
Um das zu erreichen, wollen wir in den nächsten vier bis fünf Jahren 50 Przewalski-Pferde auswildern. Gerade vor einer Woche wurden wieder sechs Tiere hingebracht, um nächstes Jahr in die freie Wildbahn entlassen zu werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess.