Die Schweizerischen Bundesbahnen, SBB, wollen die Strecke zwischen Schaffhausen und Zürich ausbauen. Mitten durch Lottstetten soll ein zweites Gleis verlegt werden.

Baden-Württemberg Züge im Vorgarten? Schweiz will Trasse durchs Dorf, Anwohner bangen um ihr Zuhause

Stand: 14.06.2025 13:17 Uhr

Ratternde Züge mitten durchs Dorf: Die Schweizer planen den Ausbau der Strecke Schaffhausen-Zürich. Ein Abschnitt soll durch das beschauliche Lottstetten führen. Die Anwohner sind entsetzt.

Von Petra Jehle, Anita Westrup

Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollen die Strecke Schaffhausen-Zürich ausbauen und einen Halbstundentakt einführen. Auf einer Länge von vier Kilometern soll ein zweites Gleis entstehen. Es soll durch die deutsche Gemeinde Lottstetten (Kreis Waldshut) führen. Ein zweites Gleis mitsamt Lärmschutzwänden dorthin, wo heute noch Blumenbeete, Einfahrten oder Haustüren sind? Viele Anwohnerinnen und Anwohner reagieren mit Unverständnis auf die Ausbaupläne. Sie haben eine Petition gestartet.

Anwohner in Sorge: Betonwand direkt neben Küchenfenster?

Noch gibt es in Lottstetten nur ein Gleis. Doch in fünf Jahren soll ein zweites hinzukommen, planen die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Anwohner Fridolin Burger ist entsetzt. Sein Garten müsste größtenteils weichen. Statt Rosen und Ziersträuchern würden Stützmauern bis an seine Hauswand reichen. Burger sorgt sich: "Ich habe den Haupteingang hier auf dieser Seite. Ich habe Probleme mit dem Laufen und sie machen mir den Eingang zu. Ich komme gar nicht mehr ins Haus rein."

Auch Uwe Buchtler droht eine Lärmschutzwand direkt vor dem Haus. Er malt sich das Szenario schon aus: "Dann sehen Sie vom Küchenfenster, von allen Fenstern im ersten und zweiten Stock auf eine Betonwand." Buchtler und weitere Anwohner der Bahnstrecke fühlen sich von den Plänen der SBB überrollt.

Gemeinde Lottstetten: Doppelspurausbau auf Wiese möglich

Die Gemeinde Lottstetten steht dem Bauvorhaben grundsätzlich positiv gegenüber, erklärt Bürgermeister Andreas Morasch (parteilos). Die Verlagerung von Gütern auf die Schiene sei wichtig, auch der Personennahverkehr der Grenzregion werde dadurch verbessert. Doch bei der konkreten Streckenführung stößt das Vorhaben auf Kritik. Viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum das zweite Gleis mitten durch den Ort führen soll – vorbei an Vorgärten, Einfahrten und Wohnhäusern. Die Gemeinde schlägt stattdessen vor, die zusätzliche Trasse samt Kreuzung außerhalb der Ortschaft auf freier Fläche anzulegen. "Wir haben Richtung Rafz (Anm. d. Redaktion: Rafz im Kanton Zürich) heraus Richtung Schweiz eine grüne Wiese, wo man den Doppelspurausbau ohne große Betroffenheit ausbauen könnte", so Morasch.

Doch bei der SBB stößt dieser Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Moritz Weisskopf, Sprecher der Schweizerischen Bundesbahnen, verweist auf technische und logistische Hürden: "Wenn man es an einer anderen Stelle bauen würde, dann brächte das mehr Infrastruktur-Ausbauten mit sich. Und es stünde auch im Konflikt mit dem abgestimmten Taktfahrplan zwischen Schweiz und Deutschland."

Hinter der Gemeinde liegt eine Wiese: Lottstettens Bürgermeister findet diesen Ort besser geeignet für den Ausbau als die Siedlungen.

Hinter der Gemeinde liegt eine Wiese: Lottstettens Bürgermeister findet diesen Ort besser geeignet für den Ausbau als die Siedlungen.

Bürgermeister: Es könnte zu Enteignungen kommen

Doch nicht nur die Trassenführung sorgt für Kritik. Auch die geplanten Bauarbeiten bereiten vielen Anwohnern Sorgen: Weil die Strecke nur an wenigen Tagen komplett gesperrt werden soll, sind überwiegend nächtliche Arbeiten vorgesehen. In dieser Zeit sollen einige Anwohner ihre Häuser vorübergehend verlassen - ein Gebäude soll sogar abgerissen werden. Auf Anfrage teilen die SBB mit, man setze verschiedene Maßnahmen ein, um die Belastungen so gering wie möglich zu halten. Lärmintensive Arbeiten würden auf ein Minimum reduziert, versichert das Unternehmen. Zum Einsatz kämen Maschinen auf dem neuesten Stand der Technik - teilweise mit Lärmschutz - und die betroffenen Anwohnenden würden regelmäßig über anstehende Arbeiten informiert.

Neben der Lärmbelastung geht es auch um Flächen: Für den Ausbau wollen die SBB Grundstücke mieten oder kaufen. Es werde zu temporärem und permanentem Grunderwerb kommen, heißt es. In Einzelfällen, so der Bürgermeister, könne es auch zu Enteignungen kommen.

Diese Aussichten sorgen für Widerstand im Ort. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen das Vorhaben in seiner aktuellen Form nicht hinnehmen. Unter dem Titel "Doppelspurausbau Lottstetten: Ja, aber nicht so! Wir hier haben auch Rechte!" wurde eine Petition gestartet. Bereits über 350 Menschen haben sie unterschrieben.

Die Bewohner von Lottstetten lehnen den geplanten Bahnausbau nicht grundsätzlich ab. Auf einem Protestplakat steht: "Aber nicht so".

Die Bewohner von Lottstetten lehnen den geplanten Bahnausbau nicht grundsätzlich ab. Auf einem Protestplakat steht: "Aber nicht so".

Zwischen Schaffhausen und Zürich: Lottstetten soll Knotenpunkt werden

Das Bauvorhaben ist Teil eines Schweizer Infrastrukturprogramms zum Bahnausbau bis 2035. Die Linie zwischen Schaffhausen und Zürich habe eine internationale und überregionale Bedeutung für Fern- und Güterverkehr, sagt Reto Schärli, ein weiterer Sprecher der SBB. Auf der Strecke werden Güter transportiert, sie ist die S-Bahn-Verbindung zwischen Zürich und Schaffhausen, aber auch Teil der Bahnverbindung zwischen Zürich-Singen-Stuttgart.

Um die Kapazitäten zu erhöhen, plant die Schweiz, den rund vier Kilometer langen Abschnitt zwischen Rafz (Kanton Zürich) und Jestetten (Kreis Waldshut) für einen durchgehenden Doppelspurbetrieb auszubauen. Geplant ist, dass sich die Züge künftig in der Streckenmitte - auf Höhe von Lottstetten - kreuzen können. Die SBB rechnen mit einer Bauzeit von rund vier Jahren und veranschlagen die Kosten auf 180 Millionen Schweizer Franken.

Projekt mitten im Genehmigungsverfahren - Einsprüche möglich

Formal nimmt das Projekt allmählich Fahrt auf: Die Schweiz hat die Ausbaupläne am Montag auf der Homepage des Kantons Zürich veröffentlicht. Dort endet die Einsprachefrist am 26. Juni. Parallel dazu hat das Regierungspräsidium Freiburg Anfang Juni auf deutscher Seite das Planfeststellungsverfahren gestartet. Die Unterlagen sind online auf der Website des Regierungspräsidiums einsehbar, die öffentliche Anhörung läuft sechs Wochen. In diesem Zeitraum können Anwohnerinnen und Anwohner, Kommunen sowie Verbände Stellungnahmen abgeben oder Einwände erheben. In Lottstetten haben sich bereits Anwohner zusammengetan und bieten Hilfe bei Einsprachen an.

Sendung am Sa., 14.6.2025 18:00 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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