Baden-Württemberg Stuttgarter mit iranischen Wurzeln: "Jetzt bewusst, wie krass die Lage ist"

Stand: 17.06.2025 17:46 Uhr

Seit dem Angriff Israels auf den Iran sind die beiden Länder im Krieg. Welche Folgen hat das für Menschen mit iranischer Verwandtschaft in der Region Stuttgart, was sind ihre größten Ängste - und Hoffnungen?

Von Siri Warrlich

Seit dem Angriff Israels auf den Iran vergangenen Freitag führen die beiden Staaten Krieg. Der Krieg beschäftigt auch viele Menschen in der Region Stuttgart mit iranischen Wurzeln. Sie machen sich Sorgen um ihre Verwandten und fragen sich, wie es mit dem Land weitergeht.

"Ich habe meiner Mutter gesagt, sie soll in den Keller gehen, wenn etwas passiert", sagt zum Beispiel Arezoo Shoaleh, denn im Iran gebe es keine Bunker. Die 53-jährige Sozialpädagogin leitet in Ludwigsburg den Verein "Frauen für Frauen" und ist auch Gemeinderätin in Ludwigsburg. Ihre Familie lebt in der iranischen Millionenstadt Maschhad.

Nach den ersten Angriffen Israels vergangenen Freitag habe es bei vielen ihrer Kontakte im Iran erstmal Freude gegeben, sagt Shoaleh. "Das Gefühl war: 'Endlich passiert etwas, endlich greift die Welt ein.' An einem Tag wurden sechs Köpfe des Verbrecherregimes umgebracht. Das sind Menschen, die sehr viele Demonstranten auf dem Gewissen haben", so Shoaleh.

Zunächst hätten viele gehofft, dass Israel genau wisse, was es tue und sehr punktgenau angreife. Viele regimekritische Iraner hätten große Hoffnungen in Israel gesetzt, sagt die Ludwigsburgerin Arezoo Shoaleh. Inzwischen gehe die Stimmung bei ihren Kontakten im Iran aber immer mehr in Richtung Angst und Panik über.

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Shoaleh: Iraner haben Angst, dass kein Wandel kommt

Shoaleh betont, wie furchtbar die Situation im Iran aus ihrer Sicht schon seit Jahrzehnten ist. "Die Menschen im Iran leben seit 47 Jahren im Krieg - auch wenn es kein Krieg ist, der mit Bomben geführt wird. Menschen werden verhaftet für nichts, hingerichtet, Frauen in Gefängnissen vergewaltigt", so die Ludwigsburgerin. "Die größte Sorge vieler Iranerinnen und Iraner ist, dass Iran sich an den Verhandlungstisch setzt, der Krieg aufhört und alles bleibt, wie es ist, und das Regime weiterexistiert. Davor haben die Menschen mehr Angst als vor Krieg", sagt Shoaleh. Die Wut vieler Menschen im Iran richte sich gegen das iranische Regime und nicht gegen Israel, so Shoaleh.

Stuttgarter sorgt sich um iranische Großmutter

Auch der Stuttgarter Mehdie Khobyari hat in den ersten Stunden nach Israels Angriff erst einmal Genugtuung bei seinen Kontakten im Iran beobachtet. Übers Wochenende sei die Stimmung in Richtung Angst gekippt.

"Es hat ein bisschen gedauert, bis es ankommt. Mir persönlich ist seit gestern bewusst, wie krass die Lage wirklich ist", sagt Khobyari. Der 32-Jährige IT-Berater ist in Deutschland geboren. Seine Großmutter und seine Tante leben in der iranischen Millionenstadt Schiras.

Khobyari: Verwandte wollen auf Gartengrundstück umziehen

"Im Iran gibt es oft in den Innenstädten militärische Stützpunkte", sagt Khobyari, so auch in Schiras. Der Stützpunkt dort sei angegriffen worden. "Das ist nur ein Stadtviertel weiter von dem Zuhause meiner Verwandten." Seine Oma und seine Tante überlegten nun, erst einmal auf ihr Gartengrundstück am Rande der Stadt umzuziehen, weil sie sich dort sicherer fühlen. "Da gibt es ein kleines Häuschen und fließend Wasser", sagt Khobyari.

Am Montag hatte der 32-Jährige das letzte Mal Kontakt mit seinen Verwandten. "Ich habe Angst, dass die Lage eskaliert. Die Menschen im Iran vertrauen ihrer Regierung nicht. Es gibt keine Infrastruktur zum Schutz der Menschen wie zum Beispiel Bunker. Die Leute werden nicht gewarnt und sind komplett auf sich allein gestellt", sagt Khobyari. "Sie wissen auch nicht genau, was in ihrem eigenen Land eigentlich abgeht, weil das Internet gedrosselt ist und die offiziellen Nachrichtenkanäle alle vom Staat gelenkt werden", so der Stuttgarter. "Informationsbeschaffung war schon immer schwierig im Iran und jetzt ist es noch schwieriger."

Die Leute werden nicht gewarnt und sind auf sich allein gestellt." Mehdie Khobyari, Stuttgarter mit Verwandten im Iran

Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Menschenleben der iranischen Führung egal seien. "Es besteht die Sorge, dass die Regierung bereit ist, es auf Kosten der Menschen komplett eskalieren zu lassen", so Khobyari.

Samir: Verwandte überlegen, nach Afghanistan zu fliehen

Ähnlich wie bei Khobyaris Familie versuchen auch Samirs Verwandte, in ländlichere Gebiete zu gelangen. Samir (Nachname ist dem SWR bekannt) hat eine afghanische Mutter und einen iranischen Vater. Er ist im Iran aufgewachsen und lebt seit 2005 in Deutschland. In Stuttgart fährt er Taxi und arbeitet in einem Fitness-Studio.

"Meine Eltern leben etwa 30 Kilometer von Teheran entfernt auf einer Art Hof", sagt Samir. Viele Verwandte aus der Hauptstadt seien inzwischen auf diesen Hof der Eltern geflüchtet. "20 Leute sind jetzt dort." Samir sagt, seine Eltern erwägen, zu Verwandten der Mutter nach Afghanistan zu gehen, falls die Lage im Iran schlimmer wird. "In Afghanistan ist die Lage mit den Taliban auch nicht toll, aber immerhin ist gerade kein Krieg", sagt Samir. "Am Ende geht es ums Überleben."

Israel: Familien schlafen in Bunkern

Gleichzeitig sorgt der neue Krieg auch in Israel für Angst und Schrecken. Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat zu Beginn des Krieges den Ausnahmezustand im Land ausgerufen. Ständig gibt es Raketenalarm und die Menschen begeben sich in Bunker. In der Küstenmetropole Tel Aviv, wo viele Gebäude keinen eigenen Schutzraum haben, berichtete zum Beispiel eine Mutter der Deutschen Presseagentur, dass sie mit ihrem Kind komplett im Bunker schläft und nachts gar nicht mehr nach Hause geht - in der Hoffnung, dass die Tochter dann ruhiger schläft.

Sendung am Mi., 18.6.2025 6:00 Uhr, SWR4 BW am Morgen, SWR4 Baden-Württemberg

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