Ein Mann steht als Kapitän am Steurrad eines Rettungsschiffs.

Baden-Württemberg Deutsches Schiff festgesetzt: Rottenburger Seenotretter kritisiert italienische Behörden

Stand: 13.06.2025 16:47 Uhr

Seit Tagen setzen italienische Behörden das deutsche Schiff Nadir fest. Zuvor hatten die Seenotretter 112 Menschen im Mittelmeer gerettet. Der Rottenburger Kapitän berichtet.

Von Maren Seehuber

Italienische Behörden halten das Schiff Nadir seit Tagen fest. Mit auf dem Schiff: Der Rottenburger Seenotretter Friedhold Ulonska. Am Sonntag hatten er und seine Besatzung 112 Menschen aus einem Holzboot in Seenot im Mittelmeer gerettet, so die dahinterstehende NGO RESQSHIP.

Die Nichtregierungsorganisation (englische Abkürzung: NGO) beschreibt den Ablauf so: Das Schiff steuerte nach der Rettung den sicheren Hafen in Lampedusa an. Das hätten italienische Behörden vorgegeben. In den italienischen Hoheitsgewässern angekommen, wurde die Nadir festgesetzt. Die geretteten Personen und Teile der Crew durften das Schiff in Lampedusa aber verlassen. Die Besatzung wird beschuldigt, gegen italienisches Recht verstoßen zu haben.

Vorerst sollte das Schiff am Hafen von Lampedusa für 20 Tage festgesetzt werden. Am Donnerstagabend wurde die Besatzung aber angewiesen, einen sizilianischen Hafen anzufahren. Dort sollen sie den Rest der 20 Tage absitzen. Die sieben Besatzungsmitglieder waren über diese Anweisung überrascht, schreibt Ulonska in einer Mail dem SWR. Zuvor habe es geheißen, sie würden die Möglichkeit bekommen, sich einen Wunschhafen für die Festsetzung auszusuchen.

Piantedosi-Dekret: So sollen sich Rettungsbesatzungen verhalten
Anfang 2023 ist in Italien das sogenannte Piantedosi-Dekret in Kraft getreten. Das Gesetz wurde unter der rechten Regierung Giorgia Melonis (Fratelli d’Italia) beschlossen. Es gibt vor, wie sich die Besatzungen von zivilen Seenot-Rettungsschiffen zu verhalten haben. Zum Beispiel müssen sie sofort nach einer erfolgten Seenotrettungsaktion mit der italienischen Leitstelle Kontakt aufnehmen. Dann wird ihnen ein Hafen zugewiesen, den sie ohne weiteren Rettungseinsatz anfahren müssen. Werden diese Vorgaben missachtet, können die italienischen Behörden Geldstrafen verordnen und Schiffe festsetzen.
Ein Schiff rettet Menschen in Seenot. Die Nadir wurde in Italien festgesetzt.

Seit 2021 ist die Nadir von der NGO RESQSHIP unterwegs und hat schon 12.000 Menschen in Seenot geholfen.

Rottenburger Kapitän spricht von falschen Anschuldigungen

Seit 2021 ist die Nadir unterwegs und rettet Menschen in Seenot. Zum ersten Mal wurde die Nadir nun von italienischen Behörden festgesetzt, heißt es in einer Pressemitteilung der NGO RESQSHIP. Der Crew wird vorgeworfen, sie habe versäumt, die zuständige Behörde zu informieren und habe nicht den vorgesehenen Hafen angesteuert. Das verstoße gegen das nationale italienische Gesetz. Kapitän Friedhold Ulonska aus Rottenburg hält die Anschuldigungen für falsch.

Er sagt: Die italienischen Behörden hatten die Seenotretter angewiesen, die Leitstellen in Tunesien und Lybien zu kontaktieren. Das habe die Besatzung der Nadir mehrmals versucht - ohne Antwort, so die NGO RESQSHIP.

In den italienischen Hoheitsgewässern angekommen, wurde die Besatzung aufgefordert, einen Teil der Geretteten an ein Patrouillenschiff zu übergeben. Den Rest der Menschen sollte die Nadir in einer 24-stündigen Fahrt nach Sizilien bringen. Die Seenotretter wollten die Migranten aber nicht trennen. Ihre Begründung: Angst vor Chaos und weiteren Traumata für die Geretteten. Außerdem wollten sie keine Familien trennen.

Dadurch gab es keine Übergabe der Personen, und Kapitän Ulonska fuhr nicht in den Hafen. Die Besatzung wartete vor Lampedusa, bis sie von der Küstenwache in den Hafen geleitet wurde. Dieser wurde ihnen zu Beginn als sicherer Hafen genannt.

Einige Menschen mit Rettungsweste sitzen vorne im Bug im Rettungsschiff Nadir der NGO RESQSHIP

Die NGO RESQSHIP rettet Menschen in Seenot und bringt sie an sichere Häfen. Das Schiff Nadir ist seit 2021 unterwegs und hat bereits 12.000 Menschen gerettet.

Was kommt auf die Crew der Nadir zu?

Neben der 20-tägigen Festsetzung droht den Seenotrettern eine Strafe von 2.000 bis 10.000 Euro. Ulonska erklärt, dass es sich nicht um eine strafrechtliche Anklage, sondern einen Verwaltungsakt handele. Der kann mehrere Wochen dauern. Trotzdem hofft der Kapitän, dass sein Widerspruch angenommen wird und sich die Sache schnell klärt. Bis dahin heiße es abwarten und hoffen, dass es nicht zu einem Gerichtstermin kommt, so Ulonska.

Linken-Politikerin fordert Freilassung des Rettungsbootes

Die Bundestagsabgeordnete Anne Zerr (Die Linke) fordert in einer Pressemitteilung, die Besatzung und das Schiff sofort freizulassen. Außerdem fordert sie eine Prüfung der Behördenarbeit und die Strafen sollen erlassen werden.

Es kann nicht sein, dass mutige und couragierte Aktivist:innen den Gefahren zum Trotz dort eingreifen, wo Staaten versagen. Sie retten hilflose Menschen vor dem Tod und werden dafür mit Willkür und Kriminalisierung gestraft. Anne Zerr, Bundestagsabgeordnete (Die Linke)

Behindert das italienische Gesetz die Seenotrettung?

Die italienische Regierung verteidigt das Gesetz. Man brauche eine geordnete Verteilung der Migrantinnen und Migranten, um Regionen, aber auch Behörden zu entlasten. Außerdem solle durch das Gesetz Schmuggel bekämpft werden.

Seenotretter wie Ulonska halten dagegen. Mit dem Gesetz würden vor allem die Schiffe der Seenotrettung behindert. Die Nadir sei nicht das erste Schiff, dem ein weit entfernter Hafen zugeteilt wurde. Dadurch würden die Schiffe an weiteren Rettungen gehindert, so die Organisationen SOS Mediterranee und Ärzte ohne Grenzen. Anwälte der NGO SOS Mediterranee hatten im vergangenen Jahr bereits die Frage aufgeworfen, ob das Gesetz überhaupt verfassungsmäßig sei.

Momentan sind Ulonska und Teile seiner Crew auf dem Weg nach Sizilien, wie von den italienischen Behörden angeordnet. Dort müssen sie den Ablauf der 20 Tage abwarten.

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