
Kunstausstellung documenta Ein Ende im Streit
Am Sonntag endet die documenta in Kassel. Was von der Kunstschau bleibt: Antisemitismus-Vorwürfe und ein Streit über Kunstfreiheit und Zensur. Wie konnte das passieren?
Ilana Katz ist großer documenta-Fan. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Kassel hat schon lange vor der Kunstschau extra Urlaub genommen, um "jeden Tag der documenta genießen zu können", wie sie sagt. Stundenlang hat sie sich zum Beispiel in der documenta-Halle aufgehalten, einem der 32 documenta-Standorte in Kassels Innenstadt. Sie hat dort die Atmosphäre genossen, die so friedlich gewesen sei, hat Kunstwerke bestaunt.
Aber dann kam die lange, für sie schier endlose Diskussion über Antisemitismus, über Kunstwerke, die Katz einfach nur "verletzend" findet. Bitter stellt sie fest: "Es war ein verlorener Sommer." Ihre Freude und Begeisterung sind wie weggefegt.
Wie konnte es so weit kommen?
Schon im Januar wurden die ersten Vorwürfe laut, Mitglieder des documenta-Kuratorenteams ruangrupa aus Indonesien seien antisemitisch, würden die BDS-Bewegung unterstützen, die zum Boykott Israels aufruft. documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann rief damals dazu auf, den Beginn der Weltkunstschau abzuwarten, da sei nichts Antisemitisches dabei.
Rund 1500 Kunstschaffende aus Dutzenden Künstlerkollektiven aus allen Kontinenten haben mitgemacht. Diese Weltkunstschau sollte dem globalen Süden eine Stimme geben, abseits vom europäischen Kunst-Mainstream. Werte wie Nachhaltigkeit sollten im Mittelpunkt stehen, die Freiheit der Meinungen, der offene Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen.
Der erste Skandal gleich zu Beginn
Und dann kam gleich zu Beginn der documenta im Juni der Skandal um das große Banner der Künstlergruppe Taring Padi, das offen antisemitische Karikaturen zeigte. Es musste abgehängt werden. Ruangrupa zeigte sich geschockt, gelobte Besserung, wollte auf deutsche Befindlichkeiten eingehen. Doch immer neue Vorwürfe wurden laut, immer mehr Kunstwerke gerieten in den Fokus der Kritik. Die documenta-Geschäftsführerin musste zurücktreten.
Dabei waren die Kuratorinnen und Kuratoren aus Indonesien von Anfang an misstrauisch. Sie haben in ihrer Heimat das brutale Regime des Diktators Suharto erlebt, der auch Kunst zensieren ließ. Und jetzt erlebten sie, wie zum Beispiel Staatsministerin Claudia Roth die Entfernung besonders umstrittener Kunstwerke forderte. Das hat das Kuratorenteam immer mit dem Ausruf "Keine Zensur!" gekontert. Auch in Interviews wiederholten die Indonesier fast gebetsmühlenhaft, sie würden dem Druck der Politik, auf keinen Fall weichen. Da spielten wahrscheinlich ihre Erfahrungen aus der Suharto-Zeit eine wichtige Rolle.
Die Kritik wurde immer lauter, ruangrupa reagierte immer gereizter. Bis sie schließlich in einem offenen Brief ihre Kritiker als "Neo-Kolonialisten" und "Rassisten" bezeichneten. Eine Verständigung über Antisemitismus auf der documenta scheint nicht mehr möglich.
Die freundliche Seite der documenta
Dabei haben die meisten Besucherinnen und Besucher in Kassel eine ganz andere documenta erlebt. Die allermeisten Kunstwerke haben nämlich nichts mit der Antisemitismus-Debatte zu tun. Sie prangern zum Beispiel das kommunistische Regime in Kuba an. Oder die Nahrungsmittelindustrie in Bangladesch, die nach Aussage des Künstlerkollektivs Britto Arts Trust völlig bedenkenlos massenhaft Pestizide einsetzt.
Auffallend viele junge Menschen waren nach Kassel gereist, um diese völlig andere, nahbare documenta zu erleben, die keine Kunst für millionenschwere Versteigerungen schaffen will, sondern Kunst, die sich für Unterdrückte einsetzt, für Ausgebeutete, für Menschen, die unter dem Klimawandel leiden.
Ein Ende im Streit
Ilana Katz von der Jüdischen Gemeinde hat all das auch gesehen, war anfangs noch voller Hoffnung, dass diese documenta eine für sie gute Wendung nimmt. Zwei Mitglieder von ruangrupa haben die Jüdische Gemeinde sogar besucht. "Wir haben ihnen erklärt, wie sehr uns die antisemitischen Kunstwerke verletzen und wir haben uns gegenseitig verstanden", sagt Katz. So schien es ihr jedenfalls. Doch der jüngste offene Brief der documenta-Macher hat ihre Hoffnungen zerstört. Sogar ein Video, das Terror gegen Israel verherrliche, könne weiterlaufen. Sie und viele Jüdinnen und Juden fühlten sich dadurch zutiefst verletzt. Aber ruangrupa sei für jede Kritik, jede Anfrage nicht mehr zugänglich.
Die Indonesier selbst fühlen sich absichtlich missverstanden und diskriminiert, weil sie keine Europäer sind. Ein Dialog mit den Kritikerinnen und Kritikern hat wohl keinen Zweck mehr. Und so endet diese documenta der zwei Gesichter im Streit. Obwohl sie doch Verständnis und gegenseitigen Respekt fördern wollte.