
Angriffe Israels und des Iran Was erlaubt das Völkerrecht - und was nicht?
Israel greift den Iran an - und erklärt dies zum Präventivschlag. Teheran reagiert mit Gegenangriffen und schießt Raketen auf israelische Städte. Was sagt das Völkerrecht?
Aus der Bundesregierung erfährt Israel Unterstützung: So hat der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen Israels Angriffe auf strategische Ziele im Iran verteidigt. Im ARD-Morgenmagazin sagte er: "Es hätte verheerende Folgen, wenn Iran - ein Terrorregime nach innen und nach außen - Atommacht würde." Das gelte "für die Sicherheit und Existenz Israels, für die gesamte Region des Nahen Ostens und auch für die gesamte Welt, auch für Europa".
Mit Blick auf das iranische Nuklearprogramm hatte auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) noch am vergangenen Freitag geäußert: "Wir bekräftigen, dass Israel das Recht hat, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen." Völkerrechtlich ist die Situation etwas weniger eindeutig.
Völkerrechtliches Gewaltverbot
Nach der UN-Charta gilt das völkerrechtliche Gewaltverbot. Wörtlich heißt es dort:
Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.
Bedeutet: UN-Mitglieder dürfen andere UN-Mitglieder nicht einfach angreifen. Doch von diesem Gewaltverbot gibt es auch eine Ausnahme.
Selbstverteidigungsrecht als mögliche Rechtfertigung
Israel selbst beruft sich auf das Selbstverteidigungsrecht, das ebenfalls in der UN-Charta geregelt ist. In Artikel 51 steht:
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung.
Ein Staat darf also militärische Mittel anwenden, wenn er sich seinerseits mit einem Angriff konfrontiert sieht. Die Verteidigungshandlungen dürfen dann auch auf dem Gebiet des angreifenden Staates stattfinden. Ein aktuelles Beispiel dafür sind etwa Schläge der Ukraine auf militärische Ziele in Russland - da Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine diese Selbstverteidigungslage heraufbeschworen hat.
"Präemptive Selbstverteidigung" möglich
Ein Staat muss auch nicht sehenden Auges so lange warten, bis er angegriffen wird. Denn auch gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff darf man sich wehren, sofern keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Das nennen Völkerrechtler "präemptive Selbstverteidigung", erklärt Pierre Thielbörger vom Bochumer Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht.
"Unzulässig hingegen ist die 'präventive Selbstverteidigung' gegen einen nur möglichen zukünftigen Angriff, der noch nicht unmittelbar bevorsteht", so der Völkerrechtsexperte.
Das ist also der Knackpunkt im aktuellen Konflikt: Stand ein Angriff Irans auf Israel bevor und wie konkret war die Gefahr? Das hängt davon ab, wie weit fortgeschritten das Atomprogramm konkret war und wie genau die Absichten der iranischen Führung aussahen.
Iranisches Atomprogramm als Argument
Fest steht: Einen Angriff des Iran auf Israel hatte es noch nicht gegeben, als Israel in der Nacht auf vergangenen Freitag seine Raketen in den Iran geschickt hatte. Israel argumentiert, es sei durch das iranische Atomprogramm in seiner Existenz bedroht.
Tatsächlich hat das Mullah-Regime in den vergangenen Jahren atomar deutlich aufgerüstet. Ein Bericht der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) zeigt: Die Regierung in Teheran verfügt über Uran mit einem Anreicherungsgrad von 60 Prozent. 90 Prozent sind für Atomwaffen erforderlich. Laut Experten ist eine entsprechende Anreicherung schnell machbar.
Die politische Führung des Iran behauptet immer wieder, sie wolle keine Atomwaffen, sondern lediglich die atomaren Ressourcen für zivile Zwecke nutzen. Gleichzeitig erkennt sie aber Israel nicht als Staat an. Aus dem Iran kommen zudem immer wieder Drohungen, die von der Beseitigung des "zionistischen Regimes" sprechen.
Angesichts dessen meint Israels Führung, sie habe losschlagen dürfen, um einen drohenden Angriff im Keim zu ersticken. Sie spricht von einem "point of no return", den es zu verhindern gelte. Mit Blick auf das Selbstverteidigungsrecht sei der Präventivschlag von vergangener Woche gerechtfertigt gewesen.
Experten widersprechen
Viele Rechtsexperten in Deutschland sehen das allerdings kritisch. Kai Ambos ist Professor für Völkerrecht an der Universität Göttingen. "Wenn wir die Schwelle für Selbstverteidigung immer weiter nach vorne verlagern, wird das Gewaltverbot - eine Fundamentalnorm des Völkerrechts - praktisch bedeutungslos", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Gegenüber der ARD-Rechtsredaktion äußerte sich auch Thielbörger ähnlich: "Wir bewegen uns bei Israels Angriffen noch im Bereich der präventiven Selbstverteidigung, die das Völkerrecht aber gerade nicht anerkennt, um das eigentlich geltende Gewaltverbot zwischen Staaten nicht zu untergraben."
Matthias Herdegen, Völkerrechtler von der Uni Bonn schrieb auf X, der "Präventivschlag Israels gegen die Atomanlagen Irans bewegt sich völkerrechtlich in tiefgrauer Zone, auch wenn das iranische Regime Israel von der Landkarte tilgen möchte".
Atomanlagen und Zivilpersonen unter Beschuss
Für Besorgnis hatte zudem gesorgt, dass Israel gerade auch die Nuklearanlagen des Iran zu Zielen seiner Angriffe macht. Grundsätzlich sind jedenfalls Kernkraftwerke besonders vor Angriffen geschützt: Das 1977 verabschiedete Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen bestimmt, dass Kernkraftwerke nicht einmal dann angegriffen werden dürfen, wenn sie militärische Ziele darstellen, "sofern ein solcher Angriff gefährliche Kräfte freisetzen und dadurch schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung verursachen kann".
Nur unter sehr strengen Bedingungen sei eine Ausnahme von diesem Verbot möglich. Dann nämlich, wenn ein Kernkraftwerk "elektrischen Strom zur regelmäßigen, bedeutenden und unmittelbaren Unterstützung von Kriegshandlungen liefert und wenn ein solcher Angriff das einzige praktisch mögliche Mittel ist, um diese Unterstützung zu beenden".
Aus Sicht von Völkerrechtler Thielbörger liegen diese Bedingungen hier ersichtlich nicht vor. "Angriffe auf solche Ziele, bei denen zu befürchten ist, dass gefährliche Kräfte freigesetzt werden, sind daher rechtswidrig. So ist auch nach allem, was wir wissen, der Fall von Israels Angriffen zu bewerten."
Tötung von Wissenschaftlern
Darüber hinaus hatte Israel neben der militärischen Führungsebene gezielt auch die Atomwissenschaftler Irans attackiert - und mehrere von ihnen getötet. "Das ist ein besonders bedenklicher Vorgang", kommentiert Thielbörger, "denn die Wissenschaftler zählen ja generell nicht zu den Streitkräften Irans".
Als Zivilisten seien sie ebenfalls durch das humanitäre Völkerrecht geschützt - und dürften nur angegriffen werden, wenn sie direkt an den Kampfhandlungen teilnähmen. "Dafür reicht aber die Forschung zur Entwicklung von Waffen noch nicht aus", so der Experte.
Gegenangriffe Irans wohl ebenfalls völkerrechtswidrig
Bei seinen Gegenschlägen schießt der Iran Raketen auf Städte in Israel. Offiziell heißt es, um israelische Militärzentren und Luftwaffenstützpunkte zu treffen. Allerdings: Israels Armeehauptquartier liegt mitten in Tel Aviv. In der Stadt kamen bei iranischen Angriffen bereits mehrere Zivilisten ums Leben.
Angesichts der Angriffe Israels beruft sich der Iran seinerseits auf das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta. Im Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht gibt es dabei aber Grenzen: So ist stets darauf zu achten, dass die Zivilbevölkerung und zivile Objekte verschont bleiben.
Deshalb dürften Ziel von iranischen Verteidigungsangriffen nur militärische Ziele sein, ordnet Völkerrechtler Thielbörger ein. "Die Angriffe des Iran scheinen aber unterschiedslos zu sein, das heißt, sie scheinen sich gleichsam gegen zivile wie militärische Ziele zu richten. Wenn das so ist, verstoßen sie gegen das humanitäre Völkerrecht."